La Garenne Lemot bei Clisson: La grotte d'Héloïse

© Dr. Werner Robl, Juli 2003

 

In ca. 7 Kilometern von Abaelards Heimatort Le Pallet entfernt, befindet sich an den Ufern der Sèvre das malerische Städtchen Clisson mit ca. 6100 Einwohnern. Dieser Ort spielte nicht nur - wie an seiner stattlichen Burg erkennbar ist - im Mittelalter eine bedeutsame Rolle als Grenzfestung zum Poitou hin, sondern er stellt auch ein städtebauliches Kleinod der Neuzeit dar: Nach den Zerstörungen der Vendée-Kriege am Ende des 18. Jahrhunderts verhalfen die Gebrüder Pierre und François Cacault, 1743-1805 bzw. 1744-1810, und François-Frédéric Lemot, 1771-1827, der Stadt und ihrer Umgebung zu einem Gepränge, das dem einer italienischen Renaissancestadt gleicht. Dieses besondere südliche Flair, das Clisson seitdem ausstrahlt, brachte der Stadt auch den Beinamen l'Italienne, die italienische Stadt, ein.

Vor dem Toren von Clisson, in einer Schleife der Sèvre und auf dem Gebiet der Nachbargemeinde Gétigné gelegen, befindet sich der große Landsitz des Architekten Lemot mit dem Namen La Garenne Lemot. François-Frédéric Lemot war auf Einladung der Gebrüder Cacault nach Clisson gekommen, um dort seinen "italienischen Traum" zu verwirklichen. Der Stararchitekt und renommierte Bildhauer zeigte sich vom Charakter der Landschaft, der Schönheit der Vegetation, der Felsen, der Kaskaden und Aussichtspunkte sehr beeindruckt, denn sie erinnerten ihn an die italienische Ideallandschaft, wie sie z. B. der französische Maler Nicolas Poussin, 1594-1665, in seinen Werken festgehalten hatte. So entschloss er sich, das dem Verfall und der Verwilderung anheim gegebene Areal am nördlichen Ufer der Sèvre zu erstehen und sich hier einen Ort der Erholung einzurichten, der fern vom "Tumult und den Zerstreuungen der Hauptstadt" lag. Nach und nach schuf Lemont in den Jahren zwischen 1805 und 1827 eine Parklandschaft mit zahlreichen neoklassizistischen Kunstwerken und einem Landhaus und verwirklichte so seine künstlerischen Visionen von italienischer Architektur.

Der Künstler war zwischenzeitlich durch seine Leistungen zu Vermögen und Ehre gekommen: Er hatte einige internationale Preise gewonnen und mehrere Kunstwerke in Paris geschaffen, darunter das Standbild Heinrichs IV. am Pont Neuf. Der Geist, der ihn nun beseelte, wird am ehesten in den Worten des Malers Pierre-Henri de Valenciennes ausgedrückt, die sich im letzten Kapitel seines Werks Eléments de perspective pratique à l'usage des artistes aux jardins finden und sich direkt auf La Garenne Lemot beziehen könnten:

François-Frédéric Lemot legte allerdings bei seinem Projekt kaum selbst Hand an, sondern beauftragte mit der Gestaltung der Domäne den neoklassizistischen Architekten Mathurin Crucy, 1749-1826. Lemot war seinem Landsitz immer sehr verbunden; am Ende eines schaffensreichen Lebens wurde er 1827 im Freundschaftstempel von Clisson, gegenüber seines Anwesens an der Sèvre, bestattet.

In dem Park, der heute dem interessierten Publikum frei zugänglich ist, finden sich u. a. folgende Landschafts- und Baudenkmäler: 


Hier soll nach einer örtlichen Überlieferung Heloïsa, nachdem sie von Abaelard um 1117 schwanger zu seiner Schwester Dionysia in seine Heimat geschickt worden war, des öfteren Halt gemacht und ihr einsames Schicksal beklagt haben. Eine andere Version dieser Anekdote berichtet, Heloïsa sei auf Einladung des örtlichen Schlossherrn nach Clisson gekommen, wieder eine andere meint, Abaelards Schwester sei mit diesem sogar verheiratet gewesen. Konkrete Anhaltspunkte für den historischen Wahrheitsgehalt dieser Geschichten lassen sich heute aus den bretonisch-poitevinischen Akten heraus nicht erkennen. Vermutlich handelte es sich um eine Legende der romantischen Epoche, die in oben genanntem Sinn Heloïsa zur Heroïne verklärte. Madame Charrier schrieb in ihrem Werk Heloise dans l'histoire et dans la légende, Paris 1933, Heloïsa habe in dieser Grotte von der anstehenden Geburt ihres Sohnes geträumt. Zur Zeit Abaelards habe hier eine unberührte, wild-romantische Flusslandschaft mit zahlreichen Granitfelsen bestanden, die den Lauf der Flüsschen Moine und Sèvre behindert und die Bildung von Staubecken und kleinen Wasserfällen begünstigt hätte. Es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass Abaelard anlässlich seines Aufenthalts in der Bretagne, der der Entbindung nachfolgte oder voranging, seiner Geliebten diesen wunderschönen Fleck Erde gezeigt habe. Trotz der Naturschönheiten scheint es Heloïsa in der für sie fremden Umgebung auf Dauer nicht behagt zu haben. Das Paar entschloss sich, der Gefahr ins Auge zu sehen, bzw. die Aussöhnung mit Onkel Fulbert zu suchen und gemeinsam nach Paris zurückzukehren. Den kleinen Peter jr., den Heloïsa inzwischen mit dem phantasievollen Rufnamen Astralabius versehen hatte, ließ man in Obhut der Schwester Abaelards in der Bretagne zurück. Die Legenden, die sich um den Ort rankten, gaben nun einer Reihe von Künstlern Anlass, die "Grotte Heloïsas" szenisch festzuhalten.

Der Landschaftsmaler Claude Thiénon, 1772-1846, fertigte darüber ein Gemälde an, über dessen Verbleib uns leider nichts bekannt ist. Diese Malerei war jedenfalls Vorlage für zahlreiche Graveure und Lithographen. Zur Rechten erkennt man einen Ausschnitt aus einem Kupferstich von Piringer, erstellt in Aquatinta-Technik nach der Vorlage von Claude Thiénon. Der Stich findet sich in dem Werk Voyage pittoresque dans le bocage de Vendée von 1817. Die unten stehende Gesamtansicht dieses Kupferstichs, leider von etwas geringerer Qualität, entstammt aus dem Werk von Charlotte Charrier:

Baron Lemot schrieb seinerseits in seinen Erinnerungen, die dem erwähnten Reisebuch der Vendée angefügt waren, dass man zu Beginn der Erschließungsarbeiten um 1805 in dem kleinen Felslabyrinth am Ufer, das die Grotte umgab, davon überrascht worden sei, auf einem Felsen folgende Inschrift zu finden:
 

Héloise peut-être erra sur ce rivage,
Quand, aux yeux des jaloux dérobant son séjour
Dans les murs du Pallet, elle vint mettre au jour
Un fils, cher et malheureux gage
De ses plaisirs furtifs et de son tendre amour.
Peut-être, en ce réduit sauvage,
Seule, plus d'une fois, elle vint soupirer,
Et goûter librement la douceur de pleurer;
Peut-être, sur ce roc assise,
Elle rêvait à son malheur.
J'y veux rêver aussi, j'y veux remplir mon coeur
du doux souvenir d'Héloise
Vielleicht irrte Heloïsa dieses Ufer entlang, bis sie eines Tages unter den Augen der Leute, die ihren Aufenthalt mit Missgunst verbargen, hinter den Mauern von Le Pallet einen Sohn gebar, teures und unglückliches Unterpfand ihrer heimlichen Freuden und ihrer zarten Liebe. Vielleicht kehrte sie hierauf allein in diese entlegene Wildnis zurück, um zu seufzen und ihren süßen Tränen freien Lauf zu lassen. Vielleicht träumte sie an diesem steilen Fels von ihrem Missgeschick. Auch ich komme hierher, um zu träumen, um mein Herz mit süßem Gedenken an Heloïsa zu zu füllen.

Später wurden diese herzrührenden Worte dem großen Lamartine zugeschrieben, was jedoch aus chronologischen Gründen mit Sicherheit falsch ist. François-Frédéric Lemot hatte ein bisschen geschwindelt, als er behauptete, er habe die Inschrift vorgefunden; es war sein Freund Antoine Pecot, kaiserlicher Kommissar an der Administration des Monnaies in Nantes, gewesen, der die Zeilen verfasst hatte. 

Den unten verkleinert abgebildete Steinschnitt aus England fanden wir in einem deutschen Antiquariat. Das hübsche Motiv von 11 x 17 cm wurde von dem Lithographen I. Clark nach einem Entwurf von W. D. Fellowes angefertigt und von William Stockdale am 1 Mai 1818 in London, Nr. 181 Piccadilly, veröffentlicht. Die Ähnlichkeit zur Darstellung von Piringer, und somit der Bezug zum Gemälde Claude Thiénons, ist nicht zu verkennen.

Wer sich nun etwas näher über Clisson und La Garenne Lemot informieren möchte, sei auf die folgenden Internetseiten verwiesen: [Clisson] [La Garenne Lemot], außerdem auf die Arbeiten von Henri Demangeau/ACPA Le Pallet, der über die Werksgeschichte der genannten Darstellungen einige Studien angefertigt hat.

 


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