Kommentar von V. Feger zur Bernhard-Darstellung A. Podlechs

 

Sehr geehrter Herr Dr. Robl

Sie zitieren in Ihrer Website sehr ausführlich das Buch von Adalbert Podlech: Abaelard und Heloïsa oder Die Theologie der Liebe [München, Zürich,1990].

Mir scheint dieses Buch ziemlich apologetisch zugunsten von Bernhard v. Clairvaux zu sein. Immer wieder wird Bernhard zugute gehalten, er habe halt nicht anders können.

Meines Empfindens ist die Auseinandersetzung Abaelard - Bernhard weltanschauungsgeschichtlich zentral. Es wird hier, um mit Blumenberg zu sprechen, der Prozess der theoretischen Neugierde geführt. Und grundlegende Entscheidungen über Werte oder Unwerte des Abendlandes werden in dieser Auseinandersetzung gewissermaßen gefällt. In den auf Ihrer Website zitierten Seiten aus dem Buch Podlechs könnte dieser grundlegende weltanschauliche Konflikt deutlicher benannt werden.

Ich nenne im folgenden einige Beispiele zur Begründung meiner Empfindung, Podlech arbeite zu sehr apologetisch zugunsten von Bernhard.

"Bernhard spürt die Bedrohung; worin das Neue aber liegt, kann er nicht beschreiben, kann er nur als persönliches Fehlverhalten eines Magisters fassen."

Hier wird behauptet, er *könne* etwas nicht beschreiben. Der Behaupter dieses Satzes nimmt den Mund sehr voll. So gut Abaelard seine Position formulieren konnte, so gut könnte Bernhard sie verstehen, wenn er wollte. Hier wird kein neuer Logarithmus verwendet, keine neue Begrifflichkeit, die es nur erst im Gehirn von Abaelard und sonst nirgendwo auf der Welt gibt. Das Problem ist nicht eine neue Begrifflichkeit, sondern eine unterschiedliche Einstellung zu freier Diskussion, anders formuliert: die Festgelegtheit Bernhards auf eine bestimmte Art von Denken, besser: Glauben. Bernhard sagt das selbst recht deutlich in folgendem Satz: "Was widerspricht mehr dem Glauben, als nicht glauben zu wollen, was der Vernunft unerreichbar ist?"

Podlech zitiert die Denkhaltung Abaelards richtig. "Unter uns Sterblichen kann die Wissenschaft nie so wachsen, dass sie nicht noch weitere Vermehrung vertrüge." - Podlech: "Diesen Erkenntnisdrang kann Bernhard nur missverstehen." Warum "kann nur missverstehen"? - Wenn Bernhard bereit wäre, zu akzeptieren, dass man im Abendland über christliche Glaubenshinhalte sprechen kann, ohne sie zu glauben, dann könnte er Abaelard gut verstehen. Aber wenn er das akzeptieren würde, würde er einen wichtigen Bestandteil der Wirkmächtigkeit des abendländischen Christentums über Jahrhunderte hin, nämlich seine anscheinende Selbstverständlichkeit, aufgeben. Bernhard möchte selbstredend davon profitieren, dass christliche Dogmen nicht diskutiert werden können wie andere Aussagen, sondern dass sie von vorn herein einen anderen Wert haben, der sie aus der Sphäre des freien, prüfenden Geistes herausheben.

Bernhard "versteht nicht, dass Abaelard einen Unterschied gemacht hat zwischen dem Glauben als Gegenstand der theologischen Wissenschaft, dem Glauben, der für den Gläubigen unverbrüchlich und für den Wissenschaftler einfach gegeben, hinzunehmen ist, und der Wissenschaft über diesen Glauben, innerhalb deren es nur wissenschaftliche Meinungen gibt, subjektive und im Gang der Wissenschaft zu verbessernde. Daraus ergibt sich dann, dass Bernhard auch nicht verstehen kann, dass die Wissenschaft in einem währenden Diskurs aller Wissenschaftler immer weiter fortschreitet. ....so ruft Bernhard in dem Brief an den Papst Abaelard rhetorisch zu: "Es ist Dir nicht erlaubt, über den Glauben zu meinen oder zu denken (putare) oder zu erörtern oder zu diskutieren (disputare), wie es Dich drängt (pro libitu)."

Hier fährt Podlech dann fort: Bernhard macht den "Versuch, die Wissenschaft aufzuhalten beim ersten gesellschaftlich verwirklichten Versuch, in Europa Wissenschaft zu betreiben". Aber der Autor billigt Bernhard dabei intellektuelle Motive zu: "Er versteht nicht".

Man muss dem Autor danken, dass er die Denkwelt Bernhards mit folgendem Satz so wunderbar enthüllt:

"Wir gehen gefährlichen Zeiten entgegen. Magister haben wir mit geilen Ohren, Schüler mit verschlossenen Ohren, der Wahrheit abgewandt, dem Gerede zugewandt. Wir haben in Franzien einen Mönch ohne Regel, einen Vorsteher (praelatus) ohne Sorge (für die Seinen), einen Abt ohne Zucht: Petrus Abaelard, der mit den unreifen Jungen diskutiert und mit den Frauen Umgang pflegt.... In seinen Reden führt er ungeistliche Neuheiten ein, an Worten wie an Inhalten. Die geistige Nacht, in der Gott wohnt, betritt er nicht allein, wie Moses es tat, sondern mit Scharen und Schülern. In Dörfern und auf Gassen wird über den katholischen Glauben diskutiert." Und: "Gott ist im Streit. Die Wahrheit gleitet dahin. Die Kleider Christi werden zerschnitten, die Sakramente der Kirche zerrissen. Von den Fußsohlen bis zur Stirn wird das Heil zerstört, die Einfalt der Gläubigen verhöhnt. Nahe ist die Zeit, da der Löwe sich von seinem Lager erhebt, der Feind der Kirche und Räuber der Völker. Petrus Abaelard schreitet voran vor dem Antichristen, ihm den Weg zu bereiten."

Der Autor versucht, nachdem er so wunderschön den Theologen Bernhard enthüllt hat, dem Eindruck entgegenzuwirken, den seine Zitate hervorrufen, letztlich der Behauptung entgegenzuwirken, dass nichts so vernichtend sein kann wie ein Zitat. Er entschuldigt sich ausdrücklich dafür, dass er seiner Ansicht nach Sätze zitiert, die Bernhard bloßstellen. "Aus Zitaten lediglich auszuwählen kann einen Gegner vernichten. So hatte Bernhard aus Abaelards Schriften und denen seiner Schüler Zitate ausgewählt und eine Irrtumsliste erstellt, die Abaelard zwar nicht traf, ihn aber erledigte. Genauso kann man mit Bernhard verfahren, und dem heutigen Leser mit heutigem Verständnis lassen die angeführten Zitate nur ein vernichtendes Urteil über den doctor mellifluus, den honigfließenden Lehrer, zu, wie Bernhard im Mittelalter genannt wurde. Zu diesem Zweck sind sie aber nicht angeführt worden."

Man bedenke: Der Autor möchte es dem Leser wohl am liebsten verbieten, wenn er es könnte, aus den von ihm selbst ehrenwerterweise bereitgestellten Zitaten ein "vernichtendes Urteil" über BERNHARD zu folgern.

Ein weiteres Beispiel für die Apologetik des Autors: Die Briefe Bernhards seien "aggressiv. Aber das ist keine Besonderheit Bernhards. Klerikerbriefe des 12. Jahrhunderts sind fast immer in einer emotionalen Extremlage geschrieben: Sie drücken Freundschaft aus und sind dann meist überschwänglich, oder sie drücken Gegnerschaft aus und sind dann aggressiv, oft bösartig... Die Aggressivität der Geistlichen war nur die Aggressivität der Gesellschaft, und sie schloss, wie gerade Bernhard zeigt, die Fähigkeit zur Zärtlichkeit, zur Innigkeit, zur Liebe nicht aus."

Der Autor Podlech sieht in aggressiven Sätzen "nur die Aggressivität der Gesellschaft". Dabei nehmen eben diese Mönche für sich in Anspruch, besser zu sein als ihre Umgebung, sie wollen nicht ihre Parallele oder ihr Ausdruck sein, sie wollen gemäß der Aufforderung Jesu "das Salz der Erde" sein. Der Autor möchte seinen Schützling Bernhard vor dem Urteil "aggressiv" bewahren, indem er Aggressivität zu einer Zeiteigentümlichkeit macht. So, als ob es für einen Menschen des Mittelalters unvermeidlich gewesen sei, aggressiv zu sein.

Ich möchte behaupten: Bernhard konnte Aggressivität vermeiden, wenn er es wollte.

"Der Traktat-Brief an den Papst und die anderen Briefe nach Rom zeigen die Begabung Bernhards als Redner und seine Begrenztheit als Wissenschaftler. Bernhard steht kein begriffliches Kategoriensystem zur Verfügung, das es ihm gestattete, die Lehre seines Gegners argumentierend zu widerlegen. Bernhard weiß um seine Schwäche, und diese Unsicherheit wendet er in Aggression."

Podlech behandelt Bernhard erneut so, als ob dieser ein intellektuelles Problem habe, als stünden ihm nicht die nötigen Begriffe zur Verfügung. Das ist nicht das Problem. Es geht nicht um einen Mangel an Begriffen, sondern darum, dass Bernhard ein bestimmtes "In-der-Welt-Sein" nicht akzeptieren will.

Nochmals ein bisschen Apologie: "Dabei konnte Bernhard natürlich nicht erkennen, dass dies mit einem grundsätzlichen sozialen Wandel der Zeit zusammenhing, der geistiges, politisches und ökonomisches Leben von den Klöstern und Burgen in die Städte verlagerte."

Dieser Satz verteidigt Bernhard erneut und zu Unrecht ("konnte natürlich nicht erkennen"). Abaelards Sätze enthalten aber keine schwierigen logischen Probleme, nur ihre *Inhalte* sind für Bernhard unangenehm.

Bernhard benennt, was ihn besonders ärgert: "dass auf den Gassen diskutiert wird, und nicht nur von Klerikern, sondern von Schülern, unreifen Jugendlichen, Dummen und Frauen" (so wohl Podlech). Wir sehen: Es ist ein Ärgernis für ihn, dass Krethi und Plethi und schrecklicherweise sogar Frauen über Glaubensinhalte diskutieren. Das Diskutiermonopol, das die Orden bisher mit ziemlichem Erfolg in Anspruch genommen hatten, wird brüchig.

Der Autor Podlech liefert uns aber anerkennenswerterweise so sagenhaft deutliche Sätze Bernhards wie die folgenden: "Es könnte vielleicht scheinen, ich ginge in der Verhöhnung der Wissenschaft zu weit, ich behindere die Gelehrten und wolle das Studium der Wissenschaften verbieten. Das stimmt nicht! Aber die Zeit des Lebens ist kurz, und wichtig ist nur das Heil. Erwerb von Wissen verbraucht kostbare Zeit. Darum muss man unnützes Wissen vom nützlichen unterscheiden: Es gibt solche, die wissen wollen, ausschließlich zu dem Zweck, zu wissen. Das ist verwerfliche Neugier. Dann gibt es solche, die wissen wollen, auf dass sie selbst bekannt werden. Das ist verwerfliche Eitelkeit... Dann gibt es solche, die wissen wollen, um ihr Wissen zu verkaufen, für Geld zum Beispiel oder für Ehren. Das ist verwerfliche Bereicherung."


[Zurück zur letzten Seite] [Zum Seitenanfang]