H. Westermann: Überlegungen zu Abaelards Collationes

Dr. Hartmut Westermann, Philosophisches Seminar, Universität Luzern, Email: hartmut.westermann@unilu.ch

K. Jacobi (Hg.), Gespräche lesen. Philosophische Dialoge im Mittelalter (= ScriptOralia Bd. 115), Tübingen, G. Narr 1999Hartmut Westermann studierte an den Universitäten Freiburg i. Br. und Basel Philosophie, Germanistik und Katholische Theologie, um im Anschluss daran - von 1996 bis 2000 - als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Philosophischen Seminar II der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg bei Herrn Prof. Dr. Klaus Jacobi zu arbeiten.

Seine Dissertation unter der Leitung von Prof. Rainer Marten befasste sich mit dem Thema Die Intention des Autors und die Zwecke der Interpreten. Theorie und Praxis der Dichterauslegung in den platonischen Dialogen. Die Arbeit erscheint als Band 54 in der Reihe Quellen und Studien zur Philosophie, Verlag De Gruyter, Berlin 2002.

Die Arbeitsschwerpunkte Hartmut Westermanns sind die antike und zunehmend auch die mittelalterliche Philosophie. Im Januar 2001 wechselte er an die Universität Luzern, wo er derzeit am Lehrstuhl für Philosophie der Theologischen Fakultät, Prof. Rafael Ferber, seine Habilitation vorbereitet. Das Projekt beschäftigt sich mit Fragen der aristotelischen Prädikations- und Definitionstheorie.

Im Rahmen seiner wissenschaftlichen Arbeit in Freiburg entstand der folgende beachtenswerte Aufsatz zu den Collationes Abaelards, der auch im Sammelband Philosophische Dialoge im Mittelalter, Narr-Verlag, Tübingen 1999, erschienen ist. Herr Westermann hat ihn dankenswerterweise zur Veröffentlichung innerhalb dieser Seiten zur Verfügung gestellt.

Wahrheitssuche im Streitgespräch:


Überlegungen zu Peter Abaelards ‚Dialogus inter Philosophum, Iudaeum et Christianum‘

Hartmut Westermann (Freiburg i. Br.)

aus:

K. Jacobi (Hg.), Gespräche lesen. Philosophische Dialoge im Mittel-
alter
(= ScriptOralia Bd. 115), Tübingen, G. Narr 1999, Seiten 157-197

 

Abstract

       Nach einleitenden Bemerkungen über die Abfassungszeit des Dialogus, seinen umstrittenen Fragmentcharakter und seine Beziehung zur Theologia Abaelards (1) wird im Rahmen hermeneutischer Überlegungen die narrativ-dramatische Form des Textes analysiert und das Verhältnis zwischen Autor, Ich-Erzähler und Dialogfiguren unter Beachtung des literarischen Motivs der visio beleuchtet (2). Das Zentrum des Aufsatzes bildet die Untersuchung der programmatisch proklamierten Gesprächskonzeption des Dialogus. Dabei werden die professiones (3) und intentiones (4) der drei Kombattanten dargelegt und ihre Hoffnung auf ein abschließendes iudicium (5) mit dem Selbstverständnis des iudex (6) kontrastiert, dessen Einfluss auf den weiteren Gesprächsverlauf (7) aufgezeigt wird.

1. Einleitung

       Der Dialogus inter Philosophum, Iudaeum et Christianum [1] (Collationes) [2] galt in der Forschung lange als die letzte Schrift Abaelards, die der Autor erst kurz vor seinem Tode in den Jahren 1141/42 während seines Aufenthalts bei Petrus Venerabilis im Kloster Cluny verfasst habe. Insbesondere Rudolf Thomas, der kritische Editor des Textes, hat sich für die Spätdatierung des Dialogus eingesetzt. In diesem Zusammenhang haben reizvolle biographische Spekulationen, die sich mit der Spätdatierung verbinden lassen, wohl keine kleine Rolle gespielt:

Ganz zuletzt beginnt Abaelard – es blieb ihm höchstens die geringe Zeitspanne von neun Monaten – ein entmannter, schwerkranker, gedemütigter und bei aller physischen Schwäche in der Nähe des Todes doch geistig hochwachsamer Abaelard – seinen nicht mehr vollendeten ‚Dialogus inter Philosophum, Judaeum et Christianum‘. In ihm begegnet uns literarhistorisch der endgültige Abaelard. [3]

       Fragment musste der Dialogus demnach bleiben, weil der Tod selbst Abaelard die Feder aus der Hand genommen habe. So ergreifend diese Vorstellung sein mag, so falsch ist sie auch. Seit der gründlichen Studie von Constant Mews zu der relativen und absoluten Chronologie der Schriften Abaelards ist für den Dialogus mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Abfassungszeit um 1125/26 anzunehmen [4]. Damit gehört der Dialogus in die umfangreiche Gruppe der Texte, die Abaelard während seiner Zeit auf dem Paraklet (1122 – 1127) geschrieben hat [5].

       Mit der Klärung der Abfassungszeit des Dialogus ist das Problem, ob der Text Fragment [6] geblieben ist oder nicht, noch keineswegs gelöst. Beide Fragen sollten nicht zu eng miteinander in Verbindung gebracht werden, da allein durch die Frühdatierung des Dialogus ein möglicher Fragmentcharakter des Textes nicht ausgeschlossen wird [7]. Entscheidenden Aufschluss über einen möglichen Fragmentcharakter des Dialogus kann nur die Analyse des Textes bieten. Werden Hinweise auf bestimmte Inhalte gegeben, die im weiteren Verlauf des Textes zur Behandlung kommen sollen, während der weitere Textverlauf aber weder diese Inhalte noch gute Gründe dafür liefert, warum die Inhalte trotz der Ankündigung nun doch nicht behandelt werden, dann darf mit einer gewissen Berechtigung von einem Fragmentcharakter des Textes gesprochen werden [8]. Man könnte bei einer raschen Lektüre zu der Annahme kommen, dass eben dieser Fall im Dialogus vorliegt: Zu Beginn des vorgeführten Streitgespräches wird ein abschließendes Urteil des Schiedsrichters in Aussicht gestellt, das dann aber nicht erfolgt. Die Vermutung, der Autor Abaelard habe das iudicium bei der Konzeption der Schrift zwar vorgesehen, dann aber – aus verschiedenen Gründen – nicht zur Ausführung bringen können, liegt nahe. Weiter könnte man annehmen, Abaelard habe das Streitgespräch zwischen den drei Kombattanten im Stile eines Turniers arrangieren wollen, in dem sozusagen „jeder gegen jeden“ antreten muss, so dass nach der ersten Gesprächsrunde, in welcher der philosophus und der iudaeus, und der zweiten, in welcher der philosophus und der christianus aufeinander treffen, noch eine dritte Runde geplant war, in welcher es der iudaeus mit dem christianus zu tun bekommen hätte. Beide Vermutungen halte ich für falsch [9]. Im Rahmen meiner Interpretation will ich u. a. nachweisen, dass die von Abaelard komplex elaborierte Gesprächskonzeption und der inszenierte Gesprächsverlauf in sich durchaus konsistent und abgerundet sind. Damit präsentiert der Dialogus m. E. eine vollständige Kommunikationshandlung, die weder eine dritte collatio noch ein abschließendes iudicium erfordert [10].

       In aufschlussreicher intertextueller Beziehung steht der Dialogus zu der in drei verschiedenen Bearbeitungsstufen vorliegenden Theologia Abaelards. Auf die erste Version der Theologia, die 1121 auf der Synode von Soissons verurteilte Theologia Summi boni, kommen die Dialogfiguren ganz zu Beginn ihres Gesprächs zu sprechen: Die von Abaelard mit autobiographischen Zügen ausgestattete literarische Figur, die im Text als Ich-Erzähler und als Schiedsrichter des Streitgesprächs auftritt, wird als Verfasser, die anderen Kolloquenten werden als Leser der Theologia gezeichnet, deren Lektüre die Gesprächspartner so ansprach, dass sie dem fiktiv gestalteten Verfasser der Schrift das höchst bedeutsame Amt des iudex förmlich aufdrängen. Dabei wird die Verurteilung der Theologia Summi boni auf der Synode nicht als Widerlegung, sondern gerade als Bestätigung der in ihr vertretenen Thesen gedeutet: Durch die Verfolgung sei die Theologia, die der Neid habe weder ertragen noch beseitigen können, nur noch ruhmreicher geworden [11]. Nach seiner Verurteilung in Soissons, insbesondere während der Zeit auf dem Paraklet, hat Abaelard die Theologia Summi boni überarbeitet. Das Ergebnis dieser Überarbeitung, die Theologia christiana, wurde zwar nicht veröffentlicht [12], doch scheinen die Kolloquenten des Dialogus auch mit dieser zweiten Version der Theologia gut vertraut zu sein. So erinnert sich der christianus, dass Abaelard im zweiten Buch der Theologia christiana gegen die Auffassung der „Anti-Dialektiker“, man solle den Glauben nicht mit Vernunftgründen (rationes) erforschen, nicht nur rationes, sondern auch die Autorität der Schriften (auctoritas scriptorum) ins Feld führt [13]. Abaelard nutzt die Intertextualität der beiden Schriften einerseits zur Verteidigung seiner inkriminierten Theologia, andererseits zur Charakterisierung der im Dialogus auftretenden Kolloquenten. Alle Gesprächspartner wissen die einzigartige Leistung der Theologia angemessen zu würdigen, durch diese Würdigung aber sind sie zugleich selbst diejenigen, die von dem Autor Abaelard gewürdigt werden: als Menschen, die richtig einzuschätzen verstehen, was im Bereich der Theologie etwas taugt. Durch den intertextuellen Bezug verleiht Abaelard den im Dialogus vertretenen Positionen ihre eigene Dignität. So groß die Unterschiede zwischen den Kombattanten auch sein mögen, ihre Einigkeit in der Wertschätzung der Theologia verdeutlicht, warum sie allesamt würdig sind, in dem Streitgespräch zu Wort zu kommen; eine Auszeichnung, die den „antidialektischen“ Verfolgern der Theologia, über die im Dialogus gesprochen wird, ohne dass sie selbst sprechen dürfen [14], gerade nicht zuteil wird [15].

2. Zur literarischen Form des ‚Dialogus‘

       Mein Interpretationsinteresse gilt vorrangig der Konzeption eines wahrheitssuchenden Streitgesprächs, die im Dialogus greifbar wird. Nun ist Abaelards Schrift sicherlich keine theoretische Abhandlung über Gesprächsrhetorik. Wie man sich ausgerechnet in einem Streitgespräch wechselseitig der Wahrheit vergewissern kann und soll, wird nicht in einem kommunikationswissenschaftlichen Traktat erörtert, sondern in der dramatischen Gesprächshandlung des Dialogus literarisch inszeniert. Zu der Gesprächshandlung gehört allerdings auch, dass die Kolloquenten reflektierende Aussagen über den Charakter, die Absicht und die notwendigen Vorbedingungen ihres Gesprächs mit in die Unterredung einbringen. Damit zählt der Dialogus zu den Texten, die ein Kommunikationsgeschehen erstens darstellen und zweitens auch in die Kommunikation Diskurse über Kommunikation einfließen lassen [16]. Im Dialogus finden sich also sehr wohl theoretische Aussagen zum Thema „Gesprächsführung“, doch werden diese Aussagen nicht – wie in einem Traktat – von dem Autor Abaelard in propria persona formuliert. Was im Rahmen der Unterredung über Kommunikation gesagt wird, ist stets den literarischen Figuren, die Abaelard das Gespräch führen lässt, in den Mund gelegt. Damit verbietet es die literarische Form des Dialogus als hermeneutischen Fehlschluss, eine – von welchem Gesprächspartner auch immer – vertretene These oder Position schlicht dem Autor Abaelard selbst zuzuschreiben.

       Die als dramatis personae aufzufassenden Gesprächspartner sind nicht die einzigen Textstrategien, die im Dialogus Verwendung finden. Der Autor Abaelard vermeidet es, wohl um die Mitteilungsmöglichkeiten narrativer Rede nicht zu verschenken, seinem Text eine rein dramatische Form zu geben. Zu Beginn des Dialogus meldet sich mit den Worten „Ich schaute in der Erscheinung einer Nacht“ [17] keine dramatische Person, sondern ein Ich-Erzähler zu Wort, der von einer visio [18] berichtet. In der Mehrzahl der Dialogus-Interpretationen wird die visio als eine Art Traum gedeutet, wobei das Spektrum von einer Erscheinung in der Nacht über ein nächtliches Traumgesicht bis hin zu einem Wachtraum reicht [19]. Es ist von Vorteil, zunächst die erzähltechnische Funktion zu berücksichtigen, die der visio in der literarischen Gestaltung des Dialogus zukommt. Der Erzähler erfährt etwas in der visio, präziser: der Erzähler schildert das, was er in der visio erfahren hat. Gegenstand und Handlung der visio ist ein Streitgespräch, an dem neben dem Erzähler, der die Funktion eines Schiedsrichters, eines iudex, erfüllen soll, drei weitere Personen – ein Philosoph, ein Christ und ein Jude – in der Rolle von Kombattanten teilnehmen [20]. Demnach poetisiert der Autor Abaelard die visio des Ich-Erzählers als ein spezifisches Erfahrungsmedium, das ein besonderes Licht auf die in der visio erfahrene Gesprächshandlung wirft. Umgekehrt lässt aber auch das, was in der visio erfahren wird, Rückschlüsse auf das Erfahrungsmedium selbst zu. Die Argumentationen, die von den Gesprächspartnern im Laufe der Auseinandersetzung vorgetragen werden, weisen eine erstaunliche Prägnanz und Stringenz auf. Folgt man dem poetologischen Konzept des Textes, dann sind es eben diese scharfsinnigen Argumentationen, die der Erzähler im Modus der visio erfahren hat. Wer die visio als Traum auslegt, hat sich daher mit der Tatsache abzufinden, dass die Gesprächshandlung, wie sie für den Erzähler im Modus der visio erfahrbar wird, alles andere als einen vagen und verschwommenen, einen dunklen und brüchigen Eindruck hinterlässt [21]. Als Übersetzung ist der Begriff „Traum“ nur dann beizubehalten, wenn man sich bewusst wird, dass die visio als Wachtraum bzw. Wahrtraum ein Erfahrungsmedium darstellt, das in nichts defizitär, sondern durch die Klarheit des hier Erfahrbaren methodisch privilegiert ist.

       So hellsichtig die Erfahrung auch ist, die Abaelard den Ich-Erzähler in der visio gewinnen lässt, es bleibt doch die Hellsichtigkeit, die dem menschlichen Denken, den rationes eignet. Das Gesprächsgeschehen ist frei von dem Anspruch, als ganzes – oder in sich – ein übermenschliches Wissen zu vermitteln. Die Argumentationen der Gesprächspartner befassen sich zwar thematisch mit dem Göttlichen, sie nehmen auch häufig Bezug auf die Autorität der scripturae, doch dies auf spezifisch menschliche Weise. Sicherlich unterscheiden sich die Argumentationen, die Abaelard die Gesprächspartner des Dialogus vortragen lässt, von realen zeitgenössischen Disputationen, wie sie an Kloster- und Kathedralschulen ausgefochten wurden: Disposition und Intention der Kolloquenten, Kompaktheit und Folgerichtigkeit der Argumentationsgänge machen klar, dass der Dialogus nicht ein Protokoll realer Disputationen fingiert, sondern argumentative Auseinandersetzungen in einer optimierenden – und insofern verfremdenden – Weise darstellt. Damit aber sind die im Erfahrungs- und Artikulationsmedium der visio präsentierten rationes als Leistung genuin menschlichen Denkens zu verstehen, das der Dialogus im oberen Bereich seiner eigenen Möglichkeiten vorführen und nicht durch die Gnade einer Offenbarung göttlichen Wissens, erst recht durch keine visio Dei, wie sie im Gespräch mitunter thematisch wird [22], ersetzen will [23].

       Indem Abaelard die Gesprächshandlung nicht in der rein dramatischen Form konzipiert, sondern durch den Ich-Erzähler im Modus der visio erfahren lässt, arrangiert er ein literarisches Zusammenspiel zweier fiktiver Ebenen. Bildet die in dramatischer Form gehaltene Gesprächshandlung eine erste fiktive Ebene, so konstituiert die visio des Erzählers eine zweite fiktive Ebene, die als Erfahrungsmedium den Zugang zu der ersten Ebene erst ermöglicht. Der Ich-Erzähler beginnt zwar damit, seine Erfahrung der Gesprächshandlung im Stile einer Nacherzählung [24] wiederzugeben, geht dann aber dazu über, das Gespräch als Redebericht in der direkten Rede und in dramatischer Form zu schildern [25]. Durch die Verwendung der aus narrativen und dramatischen Elementen „gemischten“ Dialogform und den Rückgriff auf die Doppelrolle von Erzähler und Gesprächsteilnehmer eröffnet sich der Autor Abaelard Formen einer indirekten literarischen Mitteilung, die der rein dramatischen Dialogform prinzipiell verschlossen bleiben. Aus der zeitlichen [26] und perspektivischen Distanz des Ich-Erzählers heraus kann das vorgeführte Gesprächsgeschehen kommentiert und die einzelnen Kolloquenten charakterisiert werden [27]. Von dieser Möglichkeit wird allerdings nur im Einleitungsteil des Dialogus Gebrauch gemacht; dort ist dem Erzähler die folgende recht dezente und doch aussagekräftige Vorstellung der Kombattanten zu verdanken: „drei Männer, die auf unterschiedlichen Wegen kamen“ [28]. Ferner kommt es zu der ironischen Bewertung des Gesprächsverhaltens eines Kolloquenten: Als der Philosoph den Scharfsinn und die Belesenheit des iudex gar nicht genug rühmen kann, bemerkt Abaelard spöttisch, der Philosoph habe sich verhalten, „als ob er das Öl der Schmeichelei verkaufen und mein Haupt mit diesem Balsam salben wollte“ [29]. Im weiteren Verlauf des Textes verzichtet Abaelard allerdings auf narrative Einschübe und distanzierte Erzähler-Kommentare, wohl um den Leser stärker in den unmittelbaren Bann der dramatischen Gesprächsdarstellung zu ziehen [30].

       Im Rahmen einer Dialogus-Interpretation ist es aufgrund des literarischen Charakters des Textes nicht unbedenklich, zumindest aber erläuterungsbedürftig, von „Abaelard“ zu sprechen. Methodisch ist zu unterscheiden zwischen (1) Abaelard als Autor, (2) Abaelard als (Ich-)Erzähler und (3) Abaelard als Gesprächsteilnehmer. Der Autor Abaelard ist eine historische Person, von der wir unter anderem wissen, dass sie von 1079 bis 1142 gelebt, Dialektik und Theologie gelehrt und den Dialogus geschrieben hat. Der Abaelard, der uns im Dialogus in der Doppelrolle von Ich-Erzähler und Gesprächsteilnehmer begegnet, ist dagegen eine literarische Figur, d. i. eine Strategie des Textes. Als Erzähler und Gesprächsteilnehmer verdankt Abaelard seine Existenz Abaelard dem Autor, dessen kompositorischer Gestaltungswille hinter den literarischen Techniken des Dialogus steht. Dass auch die Unterscheidung zwischen Abaelard als Erzähler und Abaelard als Gesprächsteilnehmer von Belang ist, zeigt die Frage nach den jeweiligen Adressaten ihrer sprachlichen Äußerungen: Während sich Abaelard als Ich-Erzähler unmittelbar an den Leser wendet, dem er seinen Redebericht vorlegt, spricht Abaelard als Gesprächsteilnehmer, als dramatische Figur, nicht direkt den Leser, sondern die anderen dramatis personae, d. h. die übrigen Gesprächsteilnehmer an, so dass der Leser an dem vorgeführten Gespräch – der dramatischen Gestaltung innerhalb des Redeberichts folgend – nicht als Adressat der Sprechakte, sondern als Zuschauer und Zeuge des Kommunikationsgeschehens teilnimmt. Die methodologisch notwendige Unterscheidung zwischen der historischen Person des Autors, der textstrategischen Rolle des Erzählers und der dramatischen Figur des iudex impliziert eine analoge Unterscheidung der im Text aufgreifbaren Intentionen: Die Ziele, die der Autor Abaelard verfolgt, wenn er den Dialogus schreibt, dürfen nicht unreflektiert mit der Absicht des Erzählers und den Vorhaben der dramatischen Figuren gleichgesetzt werden. In der Dialogus-Forschung ist eine hermeneutisch unzulässige Identifizierung des Autors mit der Person des Ich-Erzählers und iudex, zuweilen auch mit der Person des christianus, nicht selten anzutreffen. Dabei werden Aussagen, die im Text über den Erzähler und iudex gemacht werden, ohne Berücksichtigung der literarischen Brechung als Selbstcharakterisierung des Autors verstanden. So deutet etwa Rudolf Thomas die bereits zitierten Anfangsworte des Dialogus (s. Fn. 17) als „Abaelards persönliche Aussage“ [31], die das bestätige und ergänze, was der Abt Petrus Venerabilis über das Leben Abaelards im Kloster von Cluny berichtet: Seine Gedankenenergie habe Abaelard bis in die späte Nacht hinein begleitet [32]. Nach dieser Interpretation gerät die visio, von der Abaelard den Ich-Erzähler im Dialogus berichten lässt, zur eigenen Erfahrung des Autors. Vor dem Hintergrund einer literaturwissenschaftlich reflektierten Methodologie erscheint diese Auslegung jedoch schlicht als zu spekulativ: Dem Text ist nur zu entnehmen, dass die im Redebericht wiedergegebene Gesprächshandlung von dem Ich-Erzähler im spezifischen Modus einer visio erfahren wird. Ob der Autor Abaelard selbst eine derartige Erfahrung gemacht hat, muss allein aus der Lektüre des Dialogus heraus völlig offen bleiben [33]. Im übrigen ist für das Verständnis der inszenierten Unterredung vor allem die gesprächstaktische Rolle des iudex von Belang und nicht die Frage, ob der historische Abaelard, dessen Stolz auf die eigenen Fähigkeiten ja für nicht wenige Zeitgenossen Grund des Anstoßes wurde, für diese Rolle eine gute Besetzung gewesen wäre oder nicht [34].

       Zum Abschluss der hermeneutischen Überlegungen wende ich mich der literaturtheoretisch nicht gerade unproblematischen Frage zu, warum der Autor Abaelard den Dialogus überhaupt in der Form eines Dialogs geschrieben hat. Sicherlich ist es nahe liegend, den Grund für die Wahl der Dialogform in der besonderen biographischen Situation zu suchen, in der sich Abaelard zur Abfassungszeit des Dialogus befand. So klingt es zunächst auch sehr plausibel, dass sich Abaelard nach seiner Verurteilung auf der Synode von Soissons vor Verfolgung und Zensur schützen wollte und aus diesem Grund in Dialogform geschrieben habe: „Im Dialogus fand er  [sc. Abaelard] eine Darstellungsform, welche ihn von der Bedrohung, erneut als Irrlehrer verurteilt zu werden, befreite.“ [35] Gegen diese Erklärung der Dialogform des Textes möchte ich einige Einwände geltend machen. Wer im 12. Jahrhundert bestimmte Lehrmeinungen angreifen will, lässt sich kaum durch die interpretationstheoretische Überlegung, dass der Autor in einem Werk womöglich nicht in propria persona spreche, von seinem Vorhaben abhalten. In allen drei großen Theologenprozessen des 12. Jahrhunderts – neben den beiden Verurteilungen Abaelards ist das Verfahren gegen Gilbert von Poitiers zu beachten [36] – legen die „orthodoxen“ Ankläger eine hermeneutische Ignoranz an den Tag, die komplexe und diskursiv entfaltete Argumentationszusammenhänge ohne jede Berücksichtigung des Kontextes auf einzelne anfeindbare Thesen reduziert. Angegriffen werden stets einzelne Lehrsätze, die nach dem Vorbild der überkommenen Ketzerkataloge in „Irrtumslisten“ zusammengestellt werden. Schon die durch Alberich von Reims und Lotulf von Novara initiierte Verurteilung der ersten Fassung der Theologia auf der Synode von Soissons (1121) hatte Abaelard gezeigt, „dass die Untersuchung ohne zureichende Kenntnis des Textes eingeleitet worden war“ [37]. Abaelard war in Soissons gar nicht gehört worden, die Möglichkeit, seinen Text zu erklären und den inkriminierten Sätzen zu Hilfe zu kommen, hatte man ihm schlicht versagt. Es ist überaus spannend, welch unterschiedliche interpretationstheoretische und semantische Einstellungen in den Theologenprozessen dokumentiert werden: Vor der Synode von Sens (1140) fordert Abaelard seinen Kontrahenten Bernhard von Clairvaux zur öffentlichen Disputation heraus. Ob die Anklage gegen ihn berechtigt ist, will Abaelard geklärt sehen über die argumentative Auseinandersetzung im Streitgespräch, in der die Kontextualität von Satzbedeutung eine entscheidende Rolle spielt. Methode und Strategie seiner Verteidigung verpflichtet Abaelard auf die interpretationstheoretische Grundthese, dass Sätze prinzipiell auslegungsbedürftig und gegen Missverständnisse und Angriffe zu verteidigen sind [38]. Dagegen vermeidet der Hauptankläger Bernhard von Clairvaux die offene Disputation, indem er die in Sens versammelten Bischöfe bereits am Vorabend der anberaumten Disputation auf eine Liste mit angeblichen Irrtümern Abaelards festlegt.

Am folgenden Tag sollte und konnte nun keine Disputation mehr stattfinden, es konnte sich nur noch darum handeln, Abaelard zu zwingen, sich seinerseits dem Spruch der Bischöfe anzuschließen. Bernhard hatte die geplante Disputation von vornherein in ein Ketzergericht verwandelt, vor dem Abaelard nicht mehr argumentieren, sondern sich nur noch darüber verantworten konnte, ob er die schon verurteilten Lehrpunkte auch vorgetragen habe oder nicht. [39]

       Statt auf Kontextualität und Auslegungsbedürftigkeit, wie sie Disput und Streitgespräch auszeichnen, setzt Bernhard von Clairvaux auf Kontextunabhängigkeit und Bedeutungsstabilität einzelner Sätze, die damit schon je für sich als errores diffamierbar werden. Die Notwendigkeit und der Sinn der Disputation steht und fällt mit der Interpretationsbedürftigkeit und -fähigkeit von Sätzen. Auf der Synode von Sens hat Bernhard mit seiner Methode Erfolg gegen Abaelard, und auch in dem Verfahren gegen Gilbert von Poitiers in Reims (1148) versucht Bernhard, „das Verhör so zu leiten, dass Gilbert sich auf die ihm vorgeworfenen Irrtümer befragen ließ.“ [40] Doch Gilbert gelingt es unter geschickter Bloßstellung der eklatanten hermeneutischen Schwächen seiner Gegenspieler, „bei den Zuschauern den Eindruck  [zu erwecken], dass die Ankläger nur abgekürzte, aus dem Zusammenhang gerissene Zitate vorzuweisen hätten“ [41]. Es war dieselbe methodisch gepflegte hermeneutische Ignoranz, durch die Bernhard nicht die Schriften der Theologen, sondern die „Irrtumslisten“ zum Gegenstand der Theologenprozesse machen konnte, die ihn in Sens triumphieren und in Reims lächerlich werden ließ. Was folgt aus der typischen Verfahrensweise der Theologenprozesse im 12. Jahrhundert für Abaelards Wahl der Dialogform? Angesichts der Erfahrungen, die Abaelard auf der Synode von Soissons mit der herrschenden Anklage- und Diffamierungspraxis seiner inhaltlich wie methodisch „antidialektischen“ Gegenspieler machen musste, wird er die Dialogform wohl kaum als Erfolg versprechendes Instrument begriffen haben, seinen Verfolgern die Waffen aus der Hand zu nehmen. Hinzu kommt, dass Abaelard, wie oben bereits erwähnt, zur Abfassungszeit des Dialogus an einer Vielzahl von Texten gearbeitet hat, die mit Ausnahme des Dialogus und des Soliloquium [42] nicht in Dialogform verfasst sind. Wenn sich Abaelard durch die Dialogform schützen wollte, warum verzichtet er dann in den anderen Schriften auf diesen Schutz?

       Abaelard hat, wie die dialogischen Momente der Theologia Summi boni belegen [43], schon vor seiner Verurteilung in Soissons und der einsetzenden Verfolgung Sympathie für die Dialogform gezeigt. Diese Sympathie hängt m. E. aber weniger mit dem Motiv „Selbstschutz“, sondern vielmehr mit den spezifischen literarischen Mitteilungsmöglichkeiten zusammen, die sich aus dieser Form ergeben: Was als Gesprächshandlung literarisch entfaltet wird, ist nicht einfach in diskursive Rede über Gespräch auflösbar [44]. Dass Abaelard diese Formen einer indirekten literarischen Mitteilung für seine philosophischen und theologischen Absichten schätzen gelernt hat, scheint mir für die Wahl der Darstellungsweise, die wir im Dialogus vorfinden, wichtiger zu sein als ein durch literarische Verbergungstechniken ohnehin kaum zu erreichender Schutz vor „antidialektischen“ Verfolgern. Wenn wir im Rahmen unserer Spekulationen über die Autorintention nun weiter fragen, für welche theologischen und philosophischen Absichten Abaelard diese literarischen Mitteilungsmöglichkeiten wohl fruchtbar gemacht hat, liegt die Annahme nahe, Abaelard habe im Dialogus seine eigene, seine neue und für viele Zeitgenossen höchst provokante Art, zu philosophieren und philosophierend Theologie zu treiben, zur Darstellung bringen wollen [45]. Weiter kann vermutet werden, dass Abaelard mit dieser Darstellung der eigenen philosophischen und theologischen Methode in praxi eine implizite Rechtfertigung des eigenen Geschäfts angestrebt hat – eine Rechtfertigung, die durch eine Programmschrift, die explizit über seine Methode handeln würde, nicht möglich gewesen wäre, da dieses Unterfangen wohl sofort eine erneute Verurteilung heraufbeschworen hätte.

3. Die „professiones“ der Kolloquenten

       Zu Beginn ihrer Unterredung lässt Abaelard seine Dialogfiguren mit wenigen Worten eine komplexe Gesprächsvorgabe entwerfen. In diesem einleitenden Gesprächsteil, der über die erst noch stattzufindende Unterredung handelt, werden klare Zielvorgaben artikuliert. Ein Programm wird entworfen, das die folgende Unterredung einlösen soll. Allerdings ist nachzufragen, ob sich in der Tat alle vier Kolloquenten auf das gleiche Gesprächsprogramm verständigen oder ob nicht recht unterschiedliche Erwartungen mit der anstehenden Unterredung verbunden sind.

       Durch das fingierte Erfahrungsmedium der visio wird nicht nur die präsentierte Argumentationssituation gegenüber den realen zeitgenössischen Disputationen verfremdet und optimiert, auch die drei Kombattanten sind trotz ihrer sich im Gespräch manifestierenden Individualität keine beliebigen Individuen mit ganz persönlichen Vorzügen und Charakterfehlern [46]. Die Kombattanten sollen auch keine konkreten historischen Personen wiedergeben, sie sind vielmehr „personhaft als Typus zu begreifen“ [47]. Daher ist der christianus nicht bloß ein Christ, er ist der Christ. Auch der iudaeus, der im Rahmen der Gesprächshandlung das Judentum zu repräsentieren hat, besitzt exemplarische Funktion [48]. Dass Abaelard in seiner Charakterzeichnung die Kombattanten von außergewöhnlichen persönlichen Zügen freihält und auf besondere biographische Anspielungen verzichtet, ist also nur konsequent.

       Die erste Beschreibung der drei Kombattanten erhält der Leser des Dialogus aus der Perspektive des Ich-Erzählers, der drei Männer auf unterschiedlichen Wegen auf sich zukommen sieht. Abaelard nutzt die klassische Metapher des Weges, um dem Leser einen Hinweis auf die Disposition der Gesprächspartner zu geben, ehe er sie selbst zu Wort kommen lässt. Was zunächst ins Auge fällt, ist das Trennende: Die Männer kommen auf unterschiedlichen Wegen, sie haben nicht die gleiche Herkunft. Auf den zweiten Blick aber zeigt sich auch das Verbindende: Die drei Männer kommen auf unterschiedlichen Wegen zusammen. In seiner literarischen Ausarbeitung der Erzählrolle nimmt Abaelard von der Möglichkeit Abstand, einen allwissenden, einen alles überschauenden Narrator einzusetzen. Aufgrund der narrativen Strategie, die ohne auktorialen Erzähler auszukommen sucht, muss der Ich-Erzähler die beiden bedeutsamen Fragen nach ihrem Bekenntnis (professio) und ihrer Absicht (intentio) an die drei Männer selbst richten [49]. In ihrer Antwort wird schon durch die grammatikalische Struktur des ersten Satzes eine Gemeinsamkeit betont: „Menschen“, sagen sie, „sind wir, die sich auf unterschiedliche Glaubensrichtungen stützen.“ [50] Damit folgt auch in der Selbstvorstellung der Kolloquenten auf die Hervorhebung des Gemeinsamen, des geteilten Menschseins, sofort die Feststellung der Differenz, die zwischen ihren Glaubensrichtungen besteht. Führen die drei Männer weiter aus, dass sie zwar alle gleichermaßen bekennen, eines einzigen Gottes Verehrer zu sein, diesem Gott jedoch mit einem unterschiedlichen Glauben und Leben dienen [51], dann ist auch hier der analoge antithetische Aufbau nachweisbar. In der nun folgenden Benennung und Charakterisierung der einzelnen Gesprächspartner tritt dagegen das Spezifische des jeweiligen Kolloquenten und damit das Trennende stärker hervor [52]: Während sich der heidnische philosophus mit dem natürlichen Sittengesetz – der lex naturalis – begnügt, berufen sich der iudaeus und der christianus zudem auf den Besitz heiliger Schriften (scripturae) [53]. Der philosophus betrachtet es als seine angestammte Aufgabe, die Wahrheit mit Hilfe von Vernunftgründen (rationes) zu erforschen, ohne sich auf irgendwelche Behauptungen der scripturae und auctoritates verlassen zu müssen [54]. Durch die kritische Kompetenz seiner ratio sieht sich der philosophus ferner in der Lage, die Aussagen der verschiedenen scripturae und auctoritates zu vergleichen, zu überprüfen und zu bewerten. Als Kriterium der Bewertung fungiert der Grad der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung, der zwischen der ratio und der zu prüfenden auctoritas herrscht [55]. Zwar haben innerhalb der lex naturalis [56] ausschließlich rationes ihren Ort, doch diese rationes taugen nicht nur zur kritischen Überprüfung von inhaltlichen Aussagen der auctoritates, vielmehr erlauben sie auch selbst inhaltliche Behauptungen, etwa die Forderung nach Gottes- und Nächstenliebe [57].

       Während der Vorstellung der Kombattanten informiert Abaelard den Leser noch nicht über die arabische Herkunft des philosophus. Erst in der anschließenden collatio mit dem iudaeus wird deutlich, dass der philosophus ein Ismaelit ist [58]. Seine arabische Herkunft verpflichtet den philosophus allerdings keineswegs, im Rahmen der fingierten Gesprächshandlung neben dem iudaeus und dem christianus die Rolle eines dritten Schriftgläubigen, eines Anhängers des Koran, zu spielen. Im Gegenteil: Der Ismaelit zeichnet sich gegenüber den anderen Kolloquenten dezidiert dadurch aus, dass er bereits mit der lex naturalis zufrieden, also gerade keine scriptura als Offenbarungsschrift anzuerkennen bereit ist. Man mag es seltsam finden, dass Abaelard einen Ismaeliten nicht als Anhänger des Koran darstellt, aber die Tatsache lässt sich nicht bestreiten. Methodisch sauber lässt sich ohnehin nur soviel sagen, dass Abaelard die literarische Figur eines ismaelitischen Philosophen so gestaltet, wie er sie gestaltet – d. h. hier eben nicht als Vertreter des Koran, sondern als Sachwalter der ratio und der lex naturalis [59].

       Während sich der christianus und der iudaeus auf ihre Offenbarungsschriften stützen, begnügt sich der philosophus mit der lex naturalis, er ist mit ihr zufrieden (contentus). Heißt dies nicht, dass der Anspruch des iudaeus und des christianus, über scripturae zu verfügen, nur der Anspruch ist, mehr zu haben, nämlich mehr als nur die lex naturalis, die sie damit aber gerade auch in Anspruch nehmen? Die lex naturalis wäre dann als die von allen Gesprächsteilnehmern geteilte Grundlage zu verstehen, auf der iudaeus und christianus noch zusätzlich die Gebäude ihrer scripturae errichtet hätten. Es liegt nahe, auch das Gottesverhältnis der Kolloquenten auf vergleichbare Weise zu beschreiben: Die Verehrung des einzigen Gottes bildet die gemeinsame Basis, Differenzen ergeben sich erst durch die Art, wie dieser Verehrung in Glaube und Leben Ausdruck gegeben wird. Allerdings kann das Bestreben der Kolloquenten, insbesondere die Gemeinsamkeiten ihrer professiones zu betonen, dazu verführen, vermeintliche Übereinstimmungen fraglos als gegeben hinzunehmen. Stellen die scripturae eine bloße Zutat zu der lex naturalis dar? Oder erscheint nicht auch die lex naturalis in einem je anderen Licht – abhängig davon, ob man auch eine scriptura anerkennt bzw. nicht anerkennt? Muss die Anerkennung einer scriptura nicht in irgendeiner Form modifizierend auf das jeweilige Verständnis der lex naturalis zurückwirken [60]? Im weiteren Verlauf des Gespräches werden die Kolloquenten das Verhältnis der lex naturalis zu den scripturae und das Verhältnis der scripturae zueinander in einer vertiefenden Weise behandeln, so dass die möglichen Wirkungen, die die Anerkennung bzw. die Nichtanerkennung einer scriptura auf das Verständnis der lex naturalis ausüben, im Dialogus durchaus thematisch werden. Die erste collatio macht offensichtlich, dass der philosophus und der iudaeus unter der lex naturalis keineswegs dasselbe begreifen: Der philosophus sieht die von ihm selbst in Anspruch genommene lex naturalis als universale kritische Beurteilungsinstanz, an der sich alle scripturae, leges und auctoritates des iudaeus und des christianus zu messen haben. Nur was mit der lex naturalis übereinstimmt, darf nach dieser Ansicht Bestand haben [61]. Dem widerspricht der iudaeus, der es weder für möglich hält, dass sein Glaube durch die rationes der lex naturalis überzeugend dargelegt, noch dass er auf diese Weise widerlegt werden kann [62]. Die Unmöglichkeit einer Rechtfertigung seiner scriptura vor dem Tribunal der lex naturalis ist für den iudaeus indes kein hinreichender Grund, den Autoritätsanspruch seiner scriptura zu mißachten. Damit aber wendet sich der iudaeus implizit gegen den Universalitätsanspruch, der die lex naturalis nach dem Verständnis des philosophus auszeichnet. So entdeckt sich die Annahme einer von allen Kolloquenten gleichermaßen affirmierten, inhaltlich und methodisch bestimmbaren lex naturalis, wie sie zu Beginn des Gespräches suggeriert wird, aus der Analyse des Dialogus heraus in ihrer Problematik. Während die Dialogfiguren in ihrer Selbstvorstellung zu Beginn des Textes bestrebt sind, die Gemeinsamkeiten ihrer professiones zu unterstreichen, scheint es in der Absicht des Verfassers oder zumindest in dem Problempotential des Textes zu liegen, den Leser zu einer kritischen Sichtung dieser Übereinstimmungen zu bewegen. Im Verlauf des Gesprächs zeigt sich die geteilte lex naturalis weniger als Ausgangs- denn als Zielpunkt des Gesprächs [63]. Die lex naturalis, zu der sich schon anfangs alle Kolloquenten bekennen, liegt als gemeinsam benedizierte nicht bereits vor, sondern muss erst während des Gespräches in gemeinsamer Denkanstrengung erarbeitet werden.

       Ein mit der lex naturalis vergleichbares Problem zeigt sich in der Aussage der drei Kolloquenten, dass sie einen einzigen Gott durch eine je unterschiedliche Glaubens- und Lebenspraxis verehren. Ist es noch derselbe Gott, den sie verehren, wenn ihr Glaube und ihr Leben so verschieden ist? Die „Verehrung eines einzigen Gottes“ kann auf zwei Weisen gedeutet werden: (1) als die Verehrung des einen Gottes oder (2) als die Verehrung nur eines Gottes. Während nach der ersten Lesart die Identität des verehrten Gottes garantiert bleibt, die Kolloquenten also ein- und denselben Gott verehren, reduziert die zweite Lesart die Gemeinsamkeit auf einen rein formalen Monotheismus, der ohne jede inhaltliche Bestimmung des Gottes auskommen muss: Zwar glaubt auch nach Lesart (2) jeder Gesprächspartner daran, dass es nur einen Gott gibt – doch dass der eine Gott des einen Gesprächspartners auch derselbe Gott ist, den die beiden anderen verehren, wird nicht behauptet [64]. Lesart (2) wird zwar von der oben geltend gemachten Problematisierung nicht tangiert, allerdings ist die Gemeinsamkeit der Kolloquenten dann nicht nur marginal, sondern auch in hohem Maß bedroht: Wenn zwar alle drei atheistische und polytheistische Vorstellungen ablehnen, sich aber nicht demselben Gott verpflichtet wissen, dann muss jedem Kolloquenten der Gott, den die anderen als einzigen verehren, als Götze erscheinen. Für Lesart (1) wiederum stellen sich die oben gezeigten Probleme: Kann man sinnvollerweise von ein und demselben Gott der drei Kolloquenten sprechen, wenn ihn die Gesprächspartner auf unterschiedliche Weise begreifen und ihr Gottesverhältnis auf unterschiedliche Weise praktizieren? So sehr sich die Kolloquenten auch bemühen mögen, zu Beginn der Unterredung ihre Gemeinsamkeiten hervorzuheben, in Bezug auf die professiones überwiegt doch das Trennende. Allerdings erscheinen diese trennenden Faktoren nicht als Hinderungsgrund für das Gespräch. Ganz im Gegenteil: Es ist gerade die Verschiedenheit ihrer Glaubensrichtungen, die den Kolloquenten den Grund für ihre Zusammenkunft gibt. Erst durch die bedeutsamen Differenzen, die zwischen ihren Glaubens- und Lebensformen (und damit auch zwischen ihren Gesprächs- und Argumentationsformen) bestehen, werden die Kolloquenten ins Gespräch gebracht und vor den iudex geführt. Die Unterschiede der professiones sind also nicht derart, dass sie das Streitgespräch verhindern, sondern derart, dass sie es nötig und – im Verein mit den nun zu betrachtenden intentiones – auch möglich machen.

4. Die „intentiones“ der Kolloquenten

       Als Grund ihrer Zusammenkunft geben die Kolloquenten an, dass sie schon lange Vergleiche über ihre Glaubensrichtungen anstellen und darüber streiten [65]. Schließlich haben sie den Entschluss gefasst, sich dem Richterspruch (iudicium) bzw. dem Schiedsgericht (arbitrium) des zum iudex gewählten Ich-Erzählers zu unterwerfen [66]. In ihren intentiones zeigt sich die für das Gespräch konstitutive, gemeinsame Grundlage der Kolloquenten, die wir in den professiones noch vermissen mussten. Dass die drei Männer ihre professiones schon lange Zeit miteinander verglichen haben, ohne aber zu einer letzten Entscheidung gelangt zu sein, gibt Auskunft über eine ganze Reihe von gemeinsamen Eigenschaften im Rahmen ihrer intentiones. Was alle drei Männer gleichermaßen auszeichnet, ist ihr Wahrheitsbedürfnis und ihre Hoffnung auf die eigene Wahrheitsbefähigung: Weit entfernt von der Faulheit der Vernunft, die eine friedliche Koexistenz nur aus Desinteresse heraus praktiziert, verlangen sie nach letzter Gewissheit in Glaubensfragen. Als Weg der Vergewisserung haben sie das Streitgespräch gewählt, dessen Ziel entsprechend darin liegt, durch eine argumentative Auseinandersetzung, durch die Prüfung der rationes die Wahrheit über die Glaubensfragen aufzuweisen [67]. In diesem Punkt unterscheidet sich das im Dialogus propagierte Streitgespräch entschieden von eristischen Formen des Streitgesprächs, deren Zweck allein darin liegt, den Gesprächsgegner mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln niederzuringen [68]. Der bislang vergebliche Versuch, durch den Vergleich der Glaubensrichtungen zur Wahrheit vorzustoßen, stellt eine weitere von allen Kolloquenten geteilte Erfahrung dar. Aus dieser Erfahrung der Aporie ist der gemeinsame Beschluss erwachsen, das Gespräch unter die Aufsicht eines iudex zu stellen, der ein letztes, für alle Kombattanten verbindliches iudicium fällen soll. In diesem Zusammenhang ist auch die Performanz der Selbstvorstellung beachtenswert: Indem sich die drei Männer in der Lage zeigen, ihre intentio gemeinsam zu artikulieren, gleichsam mit einer Stimme zu sprechen, wird das geteilte Anliegen, das die Gesprächspartner nicht trotz, sondern wegen der Unterschiedlichkeit ihrer professiones zusammenführt, nicht nur (als propositionaler Gehalt der Sätze) ausgesagt, sondern durch den literarisch inszenierten Sprechakt auch gleich gezeigt.

       Ein Vergleich mit der platonischen Gesprächstheorie ist hilfreich, kontrastierend die Eigenheiten der Gesprächskonzeption, wie sie zu Beginn der Unterredung programmatisch vorgeführt wird, herauszustellen. In dem angestrebten Streitgespräch soll über den Kampf der Argumente, in conflictu rationum [69], eine wechselseitige Wahrheitsvergewisserung statthaben. Im Sinne des platonischen Sokrates jedoch stellt der Begriff eines „wahrheitssuchenden Streitgesprächs“ eine contradictio in adjecto dar: Zwar gibt es durchaus Gesprächsformen, deren Aufgabe eben in der dialektisch-dialogischen Wahrheitsgewinnung liegt, nur sind diese Gespräche genau keine Streitgespräche. Im Menon (75c–d) setzt Sokrates eine strikte Trennung an zwischen dem Streitgespräch der Sophisten, Eristiker und Antilogiker auf der einen Seite und dem (terminologisch zu verstehenden) „Gespräch unter Freunden“ auf der anderen Seite. Während im Streitgespräch jeder Kombattant immer und ausschließlich den eigenen Sieg zu erringen sucht, der Gesprächspartner also gerade kein Partner, sondern ein Gegner ist, den es – mit welchen streitkünstlerischen Mitteln auch immer – zu überwinden gilt, sucht man im „Gespräch unter Freunden“, dem Ort geteilter Wahrheitsvergewisserung, in gemeinsamer Denkanstrengung nach dem, was allen Gesprächspartnern nach kritischer Prüfung als der am besten gegründete, als der „schrittfesteste“ Logos erscheint. Durch ihre disparaten Ziele und Methoden werden das dialektische „Gespräch unter Freunden“ und das sophistische Streitgespräch zu inkommensurablen gesprächstheoretischen Idealtypen [70]. Dagegen lässt Abaelard seine Dialogfiguren den Versuch unternehmen, Wahrheitssuche und Streitgespräch auf eine Weise zusammenzudenken, die den Streit nicht mehr als das versteht, was einer glückenden Vergewisserung entgegensteht, sondern sie allererst möglich werden und gelingen lässt. Widerlegt der platonisch diskreditierte Sophist die Argumentationen seines Gegenspielers, um genau diesen Gegenspieler zu besiegen, so widerlegt der Kombattant des Dialogus die Argumentationen seines Mitunterredners nur, um dessen Irrtümer zu besiegen und damit der gemeinsamen Wahrheitsvergewisserung zuzuarbeiten. In beiden Fällen ist die Widerlegung der gegnerischen Argumentation ein Mittel, jedoch ein Mittel für höchst unterschiedliche Zwecke. Der Versuch, die Anschauungen der anderen Kolloquenten zu widerlegen, bedarf im Dialogus einer eigenen Rechtfertigung, die der Philosoph durch Rekurs auf die intendierte Wahrheitsgewinnung leistet, nicht ohne dabei einen Seitenhieb auf sophistische Streitgesprächsformen anzubringen: „Es muss einem schließlich erlaubt sein, schlecht Gesagtes zu berichtigen, da wir – wie gesagt worden ist – miteinander reden, um die Wahrheit zu erforschen, und nicht, um darzustellen, wie geistreich man ist.“ [71] Dienen dem Sophisten die eigenen Argumentationen als eristische Waffe gegen den anderen Kombattanten, so den Gesprächspartnern des Dialogus als Instrument zur Klärung der wichtigen Gesprächsinhalte. Der Sophist weist eine große Distanz zu den Inhalten des Gesprächs aus; um was es in dem Gespräch thematisch geht, ist dem Sophisten ganz gleichgültig. Nicht von ungefähr prahlen namhafte Sophisten damit, aus dem Stegreif heraus über jedes beliebige Thema „am besten“ sprechen, d. h. Redewettkämpfe zu diesem Thema gewinnen zu können. Die Argumente, die der Sophist im Gespräch stark macht, werden ausgewählt allein wegen der polemischen Wirkung, die sie auf die Position des Gesprächsgegners ausüben, und nicht etwa, weil sie den eigenen Anschauungen des Sophisten entsprechen. Im Streitgespräch sind möglicher Gewinn und möglicher Verlust für den Sophisten gering: Mag er siegen oder verlieren, er gewinnt oder verliert damit nur eines, eben das Streitgespräch. Zu einer neuen, beglückenden oder auch bestürzenden Einsicht findet er durch das Gespräch mit Sicherheit nicht. Die Kolloquenten, deren Gesprächsprogramm Abaelard im Dialogus entwirft, setzen da ungleich mehr aufs Spiel: Was sie in das Gespräch einbringen, sind die eigenen Überzeugungen in den entscheidenden Glaubens- und Lebensfragen. Darum droht ihnen im Streitgespräch nicht weniger als die Widerlegung ihres bisherigen Gottes-, Welt- und Selbstverständnisses. Pointiert gesagt: Der Sophist setzt im Gespräch nur das Gespräch, die Kolloquenten des Dialogus setzen sich selbst aufs Spiel. Allerdings verspricht auch der Gewinn, den die Kolloquenten des Dialogus durch das „Wagnis“ [72] ihres Gesprächs erhoffen dürfen, keine Kleinigkeit: Endet das Streitgespräch mit dem Sieg eines Kombattanten, so müssen zwar die beiden anderen ihre bisherigen Überzeugungen aufgeben – doch dies für den Preis der Wahrheit. Die Konzeption des wahrheitssuchenden Streitgesprächs kennt Verlierer daher nur vordergründig: Müssen die Verlierer ihre alten Überzeugungen ablegen, dann nur, weil diese Überzeugungen im Gang der Wahrheitsvergewisserung als bloße Meinungen entlarvt wurden [73]. Gelingt das Gespräch, so haben schlicht alle Gesprächspartner gewonnen, der einzige Verlierer ist der Irrtum. So weit das hehre Ziel, das sich in dem Gesprächsprogramm der Kombattanten artikuliert.

5. Die Hoffnung der Kombattanten auf ein abschließendes „iudicium“

       Nach den bisherigen Erfahrungen der drei Männer sind die hoch gesteckten Erwartungen, die mit der gesprächsweisen Wahrheitsvergewisserung verbunden sind, jedoch herb enttäuscht worden. Trotz langer und intensiver Bemühung haben die Unterredungen keine verbindliche Einigung gezeitigt. Was das in der Exposition geplante Gespräch der drei Männer nun signifikant von ihren bisherigen unterscheiden soll, ist die Anwesenheit des iudex, an dessen Person und vor allem: an dessen gesprächsstrategische Rolle große Hoffnungen geknüpft werden. Der Entschluss der Kolloquenten, den Erzähler als iudex in ihr Gespräch einzubinden, entstammt ihrer Erfahrung der Aporie und der Einschätzung, ihr Streitgespräch könne ohne iudex und iudicium nicht zu dem erhofften Ziel führen, sondern müsse im Unentschiedenen verbleiben. Ein stets offen bleibender Dialog aber – im Sinne eines nicht nur von Dezisionisten angefeindeten „ewigen Gesprächs“ – stellt für die Kombattanten keine verlockende Aussicht dar. Ein immer weiter andauernder, prinzipiell unabschließbarer Gang der Vergewisserung genügt ihnen nicht, sie sind auf Gewissheit aus, ihr Gespräch drängt auf Entscheidung, auf letzte Entscheidung [74]. Die Person, die aufgrund ihres Amtes die geforderte letzte Entscheidung zu fällen und zu verantworten hat, ist der iudex. Nach dem Willen der drei Kombattanten besteht das Geschäft des iudex daher in dem die argumentative Auseinandersetzung und die Wahrheitssuche zugleich abschließenden iudicium.

       Dass der Ich-Erzähler auf den Antrag der Kombattanten mit Verwunderung [75] und Zögern [76] reagiert, ist gut verständlich, schließlich darf die Verantwortung des iudex-Amtes nicht unterschätzt werden. Bemerkenswert ist, dass der iudex sich weder selbst ermächtigt, noch durch eine externe Autorität in sein Amt eingesetzt, sondern von eben den Männern ausgewählt [77] wird, über deren Argumente er im folgenden befinden soll. Die Frage des iudex, welche Gründe die drei Männer bewogen haben, ausgerechnet ihn in dieses Amt zu berufen, führt zu dem Problem der spezifischen Kompetenz, die für die gesprächsfunktional so bedeutsame Rolle des iudex erforderlich ist. In der längeren, äußerst schmeichelhaften Antwort des philosophus werden drei grundsätzliche Bedingungen erkennbar, die der iudex zu erfüllen hat: (1) treffende Urteilskraft in Bezug auf die rationes, (2) genaue Kenntnis der auctoritates und (3) Unparteilichkeit. Nach dem Dafürhalten der Kombattanten scheint der Erzähler, dem der philosophus attestiert, dass ihm „weder die Stärken philosophischer Vernunftgründe noch die Stützen des Gesetzes beider Seiten  [sc. des jüdischen und des christlichen] verborgen sind“ [78], ja dass er „mit dem Scharfsinn  [s]einer Begabung und der Kenntnis jeder beliebigen Schriftstelle zu glänzen“ vermag [79], den Forderungen (1) und (2) vollkommen gewachsen zu sein. Dagegen ist die Forderung (3), die Unparteilichkeit des neu gewählten iudex, nicht in gleicher Weise garantiert, könnte seine eigene professio ihn doch zur Bevorzugung des christianus verleiten. Die Kolloquenten stehen offensichtlich vor dem Dilemma, dass ein iudex, der in der Tat die rationes beherrscht und die auctoritates kennt, außerhalb der Glaubensrichtungen, die von den drei Gesprächspartnern vertreten werden, nicht zu finden ist [80]. Indem der philosophus dieses Dilemma explizit anspricht und dem Erzähler versichert, man halte ihn trotz seiner christlichen Herkunft für dieses Amt geeignet, appelliert er an den frisch ernannten iudex, sich nicht von der eigenen professio beeinflussen zu lassen, sondern allein auf die Tauglichkeit der nun vorzutragenden rationes zu achten.

6. Das Selbstverständnis des „iudex“

       Der Ich-Erzähler nimmt die Wahl zum iudex an, ohne allerdings der Behauptung des philosophus zuzustimmen, dass er über die für dieses Amt und das iudicium notwendige Kompetenz verfüge. Da er durch das Gespräch einen Erkenntniszuwachs nicht nur für die drei Kombattanten, sondern auch für sich selbst erhofft, sieht sich der Erzähler weniger als urteilenden iudex, vielmehr als aufmerksamen Zuhörer, der begierig ist, aus dem Streitgespräch zu lernen [81]. Besonders aussagekräftig für das Selbstverständnis des iudex sind die beiden Bibelzitate (aus Spr. 1, 5–6 und Jak. 1, 19), die er im späteren Verlauf des Gespräches anbringen wird: „Wenn er zuhört, wird der Weise weiser sein, der Einsichtige wird das Steuerruder innehaben.“ [82] und „Es sei jedermann rasch im Zuhören, doch langsam im Reden.“ [83] Im Rahmen der geplanten Gesprächshandlung soll der Erzähler also gleich zwei Rollen spielen, die zueinander in keiner geringen Spannung zu stehen scheinen: Einerseits verwaltet der Erzähler das gewichtige Amt des iudex, dem – nach der Intention der Kombattanten – in der Auseinandersetzung der letzte Urteilsspruch beschieden ist. Andererseits ist er – nach dem eigenen Selbstverständnis – der lernwillige Zuhörer, der sich mit Reden und erst recht mit Urteilssprüchen lieber zurückhält. Wie sind beide Rollen zusammenzubringen? Zunächst ist festzuhalten, dass die Kolloquenten nicht zu dem Erzähler kommen, um sich durch Vorträge unterweisen zu lassen. Nach dem Willen der Kombattanten hat der Erzähler nicht die Funktion des lehrenden Magisters zu übernehmen, sondern eben die eines iudex [84]. Zwar verfügt der Erzähler nach Aussage der Kombattanten über außerordentlichen dialektischen Scharfsinn und profunde Kenntnisse der auctoritates, aber im Besitz der bedeutenden Wahrheiten, die durch den Gang des Gesprächs, durch die harte Auseinandersetzung der rationes ja allererst ans Licht gebracht werden sollen [85], sieht sich der iudex zu Beginn des Gesprächs keineswegs. Der iudex ist selbst noch wahrheitsbedürftig. Auch seiner intentio und seinem Selbstverständnis eignet die Wahrheitshoffnung und das Wahrheitsverlangen, das nach der Vorgabe der Gesprächsexposition nur durch das Streitgespräch als dem Weg der Wahrheitsvergewisserung zu stillen ist.

       An dieser Stelle liegt der auf den ersten Blick nicht unplausible Versuch nahe, die Spannung zwischen der Rolle des lernwilligen Zuhörers und der Rolle des entscheidenden iudex durch folgende heuristische Annahme zu entschärfen: Der Lernprozess, den der iudex während des Streitgesprächs erfahren darf, wird ihn gegen Ende des Gesprächs zu eben der Leistung befähigen, die ihm zu Beginn des Gespräches noch unmöglich ist: zu einem abschließenden und verbindlichen iudicium. Das Wissen, das der iudex im Lauf des Gesprächs neu gewinnt, ist nach dieser Annahme also nicht unabhängig von der Kompetenz, die von ihm in seiner Funktion als urteilender iudex verlangt ist: Nur indem er den Kampf der vorgetragenen Argumentationen kritisch mitverfolgt und dabei zu einem eigenen Erkenntnisgewinn gelangt, kann der Erzähler die von ihm als iudex geforderte Kompetenz erreichen. Was ist von dieser Lesart zu halten? Immerhin kann sie für sich die Tatsache in Anspruch nehmen, dass der Ich-Erzähler die Wahl zum iudex annimmt. Fraglich ist allerdings, ob der iudex sein Amt so versteht, wie es ihm die Kombattanten zu verstehen nahe legen, d. h. ob er in der Tat zu dem geforderten abschließenden Urteilsspruch bereit ist. Sicher, die Kombattanten erwarten zu Beginn des Gespräches, dass das arbitrium des iudex ihren Streit beenden wird, aber erwartet der frisch gewählte iudex dasselbe [86]?

       Die Dialogfigur Abaelard nimmt m. E. die Wahl zum iudex nicht an, um, dem Willen der Kombattanten folgend, nach einem eigenen Lern- und Klärungsprozess die letzte Entscheidung zu fällen und die argumentative Auseinandersetzung mit seinem Urteil ein für allemal abzuschließen, sondern um sein eigenes, von der Auffassung der Kombattanten in signifikanter Weise abweichendes Verständnis des iudex-Amtes für den Verlauf des nun beginnenden Streitgesprächs fruchtbar zu machen: Zwar ist Abaelard damit einverstanden, als iudex zu amtieren, er ist aber nicht damit einverstanden, ein iudicium zu fällen. Den entscheidenden Aufschluss über das Selbstverständnis des iudex liefert der Begriff der „Zurückhaltung“, der erubescentia [87]: Der iudex äußert die Hoffnung, dass seine erubescentia dem Wagnis des Gespräches keinen Abbruch tun wird. Mit der erubescentia meint der iudex eine ganz konkrete Zurückhaltung, die Zurückhaltung eines iudicium. In ihrer Hoffnung auf ein abschließendes Urteil bemerken die Kombattanten nicht, dass Abaelard sich zwar einverstanden zeigt, das Amt des iudex zu übernehmen, dass er damit aber keineswegs auch seine Bereitschaft zu einem iudicium erklärt. Für das Verständnis, das die Kombattanten von dem Amt und der Gesprächsfunktion des iudex haben, ist die Forderung des philosophus am Ende der ersten collatio erhellend: Der iudex soll seinen Sieg über den iudaeus durch seinen Schiedsspruch gleichsam bestätigen. Dagegen ist es für das Verständnis, das der iudex selbst von seinem Amt hat, bezeichnend, dass er diese Forderung ablehnt und auf sein ungestilltes Wahrheitsbedürfnis verweist [88]. Wenn das iudicium auch gegen Ende der zweiten collatio ausbleibt, so ist dies m. E. nicht auf einen möglichen Fragmentcharakter des Textes zurückzuführen. Vielmehr findet sich im Text, in der angezeigten erubescentia des iudex, das entscheidende Motiv, warum das Gespräch nicht so verlaufen wird, wie es die Kombattanten - und wohl nicht wenige Leser des Dialogus - erwarten. Die hier dargelegte Interpretation, die das paradox wirkende Selbstverständnis eines iudex ohne iudicium vorschlägt, sieht in der Hoffnung Abaelards, das Wagnis des Gespräches durch seine erubescentia nicht zu beschädigen, zugleich die begründete Hoffnung des iudex, allein durch seine schweigsame Anwesenheit und kritische Aufmerksamkeit das Streitgespräch auf eine Weise mitzugestalten, die ein iudicium nicht möglich, sondern unnötig werden lässt.

       Neben der Hoffnung auf die Wahrheitsvergewisserung und dem Verzicht auf das abschließende iudicium ist ein drittes Moment zu beachten, das den iudex in seinem Selbstverständnis auszeichnet: Der iudex sieht sich selbst als einen Schiedsrichter, der auf die Angemessenheit der argumentativen Auseinandersetzung und auf den wechselseitigen Respekt der Kombattanten zu achten hat, damit das Wagnis der gemeinsamen Wahrheitssuche nicht durch die Kniffe sophistischer Eristik oder durch unangemessene Gesprächsmanieren zum Scheitern verurteilt ist [89]. Zu seinem – im Gegensatz zum iudicium – selbst zugeschriebenen Aufgabenfeld gehört damit auch, dass der iudex, noch bevor der Streit der rationes beginnt, eine Art von Stärkevergleich anstellt. Argumentationstheoretische Überlegungen bestärken den iudex in seinem Eindruck, dass der philosophus seinen Kombattanten überlegen sein müsse. Da christianus und iudaeus ihre jeweilige scriptura als Beweisgrundlage anerkennen müssen, kann der philosophus gegen seine Mitunterredner sowohl ihre jeweilige scriptura als auch die geteilte ratio argumentativ ins Feld führen [90]. In dem anstehenden Kampf verfügt der philosophus mit seinen eigenen rationes und den auctoritates seiner Kontrahenten gleich über „zwei Schwerter“, während seine Mitunterredner nur auf die rationes zurückgreifen können. Gegen den philosophus, der sich mit der lex naturalis begnügt, muss das Schwert der scriptura stumpf bleiben. Durch ihre scripturae kommen christianus und iudaeus in dem anstehenden Streitgespräch keineswegs in den Genuss zusätzlicher Angriffsmittel, sondern nur in den Nachteil zusätzlicher Angriffspunkte. Außerdem machen die rationes, obgleich sie von allen Kolloquenten gleichermaßen affirmiert zu werden scheinen, doch den genuinen Bereich des philosophus aus, der daher auch die reichhaltigere Grundausstattung an rationes besitzt [91]. In den Augen des iudex erscheinen die Ausgangsbedingungen der drei Kämpfer damit alles andere als ausgewogen, trotzdem erklärt er sich bereit, die Auseinandersetzung beginnen zu lassen. Drei Gründe werden für diese Entscheidung angeführt [92]. Erstens: Das Streitgespräch besitzt Vertragscharakter. Die Kolloquenten haben das Gespräch aus einer verabredeten Einigung von gleich zu gleich heraus so beschlossen. Zweitens: Das Wahrheitsverlangen und das Selbstvertrauen jedes Kombattanten ist so groß, dass der Kampf wohl auch ohne Einverständnis des iudex stattfinden würde. Drittens: Das Streitgespräch lässt – trotz der unterschiedlichen Stärken der Kombattanten – auf einen Wahrheitsgewinn hoffen. Zwei der Gründe sind uns bereits gut bekannt: das Wahrheitsverlangen als Disposition der Kolloquenten und die Wahrheitssuche als Ziel des Streitgesprächs. Neu ist dagegen, dass der Vertragscharakter des Gespräches hervorgehoben wird. Weil der iudex auf die argumentative und kommunikative Angemessenheit des Streitgespräches in seinem Verlauf und in seinen Ausgangsbedingungen zu achten hat, ist die argumentationstheoretisch nachgewiesene Überlegenheit des philosophus zum Problem geworden. Den Versuch, dieses Problem zu entschärfen, unternimmt der iudex nun durch die Überlegung, dass doch eine grundsätzliche Gleichheit der Kombattanten zu finden ist: zwar nicht in Bezug auf das verfügbare Argumentationsarsenal, wohl aber hinsichtlich ihrer gemeinsamen intentio, ein Streitgespräch unter genau den Bedingungen, die hier und jetzt vorliegen, stattfinden zu lassen.

       Einen gewissen Ausgleich gegenüber der stärkeren „Bewaffnung“ des philosophus scheint darüber hinaus die Konstellation der Kombattanten zu bewirken: Zu Beginn der Auseinandersetzung konfrontiert der philosophus die beiden anderen Kombattanten mit der Frage, ob sie nur aufgrund der Meinungen der Menschen und durch die Liebe zu ihrer Herkunft an ihrem jeweiligen Glauben festhalten oder ob sie Vernunftgründe, rationes, für ihre Glaubensrichtung vorweisen können [93]. Mit seiner ersten längeren Argumentation [94], die zwar als Frage formuliert wird [95], der Sache nach aber eine „Eröffnungsphilippika“ [96] darstellt, greift der philosophus sowohl den iudaeus als auch den christianus an. Entsprechend lautet die Antwort des iudaeus: „Zwei gemeinsam hast du befragt, aber zwei können nicht schicklich gemeinsam antworten, damit nicht die Menge der Redenden das Verständnis behindere.“ [97] Das darin ausgedrückte Selbstverständnis des iudaeus bringt Lothar Steiger auf den Punkt:

Er [sc. der Jude] fühlt sich mit dem Christen solidarisch und verstärkt, betrachtet die beiden Testamente als zwei Hörner, die man dem überlegen bewaffneten Philosophen, der Vernunft- und Schriftgründe verwenden kann, entgegenzuhalten hat. [98]

       Allerdings ist zu fragen, ob die beiden Testamente denn in der Tat als „Hörner“ gegen den philosophus zu gebrauchen sind. Berücksichtigt man die oben ausgeführten argumentationstheoretischen Überlegungen, dann richten sich die „zwei Hörner“ allein gegen den christianus, der Argumente, die auf den beiden Testamenten basieren, akzeptieren muss, diese Argumente aber gleichwohl nicht gegen den philosophus, der sich ja keiner scriptura-Autorität verpflichtet sieht, einsetzen kann [99]. Prinzipiell ist daher festzuhalten: Der christianus kann den philosophus nur besiegen, wenn er ihm philosophisch, und das heißt: mit rationes begegnet. Dass der christianus diesen Sachverhalt selbst klar erkannt hat, zeigen seine Worte an den philosophus:

Mit dir aber darf man um so weniger auf Grund einer Autorität verhandeln, je umfassender du dich auf die Vernunft stützt und die Autorität der Schrift weniger anerkennst. Niemand kann nämlich widerlegt werden außer auf Grund des Zugestandenen, und er darf nur durch das überzeugt werden, was er annimmt, und anders müssen wir mit dir, anders unter uns gegeneinander streiten. [100]

       Daher ist es bezeichnend, dass der philosophus, wenn er während der zweiten Runde des Streitgesprächs argumentativ ins Hintertreffen gerät, nicht die Schriftkenntnis, sondern die philosophischen Qualitäten des christianus, seine rationes, lobt:

Sicherlich, um die Wahrheit einzugestehen, lerne ich dich jetzt als einen erstrangigen Philosophen kennen, und es gehört sich nicht, sich einem so einleuchtenden Vernunftschluß unverschämterweise zu widersetzen. [101]

       Obgleich die Konstellation der Kombattanten die stärkere Bewaffnung des Philosophen also nicht – wie die Rede von den „beiden Hörnern“ suggeriert – zu nivellieren vermag, bleibt sie doch interessant: Abaelards Dialogregie vermeidet die direkte Auseinandersetzung zwischen iudaeus und christianus nicht nur [102], sie lässt beide sogar als Verbündete erscheinen im Kampf gegen denjenigen, der keinerlei scriptura anzuerkennen gewillt ist [103].

       Die argumentationstheoretischen Überlegungen des iudex machen klar, dass die Kriterien für eine gelingende Argumentation nicht unabhängig von der spezifischen Kommunikationssituation zu bestimmen sind, in der das Argument seinen Ort hat. Argumente werden nicht einfach ausgesagt, sie werden stets zu jemandem gesagt. Die Reflexion auf die essentielle Adressatenbezogenheit von Argumentationen spielt auch im fiktiven 13. Brief [104] Abaelards eine zentrale Rolle. In diesem Brief, der an einen „Ignoranten im Bereich der Dialektik“ adressiert ist, verfolgt Abaelard die Absicht, die von ihm verfochtene Dialektik einerseits gegen die sophistischen „Pseudo-Dialektiker“ abzugrenzen und andererseits vor den Angriffen orthodoxer „Anti-Dialektiker“ in Schutz zu nehmen. Erschwert wird die Auseinandersetzung mit den „Anti-Dialektikern“ durch die Tatsache, dass diesen Gegnern mit den Waffen dialektischer rationes nicht zu begegnen ist, da sie der Dialektik – aus Unkenntnis und Unvermögen – ja gerade ablehnend gegenüberstehen. Dem Apologeten und Sachwalter der Dialektik bleibt daher keine andere Wahl, als auf die Verwendung seiner rationes zu verzichten und statt dessen genau die auctoritates ins Feld zu führen, die seine Kontrahenten anzuerkennen gewillt sind [105]. Die Argumentationssituation, in der sich Abaelard und die „Anti-Dialektiker“ befinden, erscheint damit als das exakte Gegenbild der Argumentationssituation, die im Dialogus geschildert wird: Während Abaelard in seiner Verteidigung der Dialektik auf rationes verzichten und lediglich die auctoritates fidei gebrauchen darf, hat es der christianus im Falle des philosophus mit einem Gesprächspartner zu tun, der keine scriptura, sondern allein die ratio als Argumentationsbasis akzeptiert, so dass dem christianus die auctoritas seiner scriptura als Argumentationsmittel verwehrt wird [106].

7. Der Einfluss des „iudex“ auf den Verlauf des Gesprächs

       Nachdem der iudex die Stärken der Kombattanten taxiert und den Vertragscharakter des Gesprächs hervorgehoben hat, hält er sich ganz im Hintergrund. Nur das eine Mal, als ihn der philosophus gegen Ende der ersten collatio vorschnell zu einem Urteil bewegen will, meldet sich der iudex überhaupt noch zu Wort, ansonsten schweigt er. Die Rolle des Gesprächsführers wird also nicht, wie man ja hätte erwarten können, vom iudex, sondern vom philosophus übernommen. Doch obgleich der iudex schweigt, bleibt er während des gesamten Gespräches anwesend – als ein aufmerksamer, kritischer Zuhörer. Die Wirkung, die der iudex allein durch seine schweigsame Anwesenheit auf den Verlauf des Gesprächs ausübt, sollte nicht unterschätzt werden [107]. Durch die Präsenz des iudex werden alle Aussagen der Kolloquenten zu mehrfach adressierten: Was ein Gesprächspartner sagt, ist nie allein zu den anderen Kombattanten, sondern immer auch zu dem iudex gesagt. Insbesondere wenn der Ton der Auseinandersetzung schärfer wird, wenn das Gesprächsverhalten anderer Kolloquenten angegriffen oder die notwendigen Vorbedingungen des Gesprächs in Frage gestellt werden, zeigt sich die Präsenz des iudex in ihrer Bedeutsamkeit. So wird der Vorwurf, den ein Kolloquent seinem Mitunterredner wegen seiner unfeinen Gesprächspraxis macht, zugleich zum Appell an den iudex. Zumindest sind Appelle, die an die „guten Gesprächsmanieren“ eines Mitunterredners gerichtet werden, Appelle, die in Anwesenheit des iudex erfolgen. Im folgenden sollen die unabdingbaren Vorbedingungen, unter denen das Unternehmen einer Wahrheitssuche im Streitgespräch steht, durch die Untersuchung einiger kritischer Momente der Gesprächshandlung aufgezeigt werden. Dabei wird auch deutlicher, in welcher Weise sich die Anwesenheit des iudex auf den weiteren Verlauf der Gesprächshandlung auswirkt.

       Die erste collatio wird bestimmt durch lange Reden und längere Gegenreden, durch weit ausholende Angriffe und weiter ausholende Verteidigungen. Der Stil des Gespräches ist – wie der iudaeus zu Recht beklagt [108] – makrologisch. Während dieser collatio findet weder inhaltlich [109] noch methodisch [110] eine Annäherung statt, der Ton des philosophus nimmt an Schärfe und Aggressivität eher noch zu [111]. Gegen Ende der collatio sieht sich der philosophus als klarer Sieger, doch die Weigerung des iudex, seinen vermeintlichen Sieg in der ersten collatio durch ein iudicium zu dokumentieren, macht ihn stutzig. Auch der Beginn der zweiten collatio muss ihn überraschen: Der philosophus will – wie bereits in der ersten collatio – die Rolle des kritisch Fragenden und Angreifenden übernehmen. Um den christianus zum Antworten zu verpflichten, erinnert der philosophus an die vertraglichen Bedingungen, unter denen die Wahrheitssuche im Streitgespräch steht [112]. Doch so leicht wie der iudaeus lässt sich der christianus nicht auf diese Rolle festlegen. In seiner Entgegnung verweist der christianus zurück auf eine frühere Äußerung des philosophus, der die Juden als töricht und die Christen als verrückt beschimpft hatte [113]. Wenn der philosophus seine Mitunterredner in diesem Licht sieht, dann hat er in den Augen des christianus [114] auch kein Recht, sich auf die vertraglich festgesetzten Konditionen der Wahrheitsbemühung zu berufen. Dass die erste collatio so unbefriedigend verlaufen ist und so wenig der gemeinsamen Wahrheitsvergewisserung zugearbeitet hat, findet in den Worten des christianus seine Erklärung: Wird die gemeinsame Wahrheitssuche im Streitgespräch doch nur möglich unter ganz bestimmten Vorbedingungen, die eben auch Respekt vor den anderen Kombattanten verlangen. So ist jedem Mitunterredner prinzipiell zuzutrauen, dass er seinen Beitrag zu der gemeinsamen Bemühung liefert. Bezeichnet der philosophus einen anderen Kombattanten als „töricht“ oder „verrückt“, dann nimmt er ihn durch diese Vorverurteilung weder in seinem Wahrheitsverlangen noch als Gegner im Streitgespräch ernst. Diese Geringschätzung der anderen Kombattanten ist nicht vereinbar mit dem Ziel der Wahrheitssuche und der Methode des Streitgespräches, daher muss sich der philosophus den Vorwurf gefallen lassen, seine Position sei in sich gebrochen. Aufgrund der Inkonsistenz seiner eigenen Position hat der philosophus sogar zu befürchten, vom Kampf disqualifiziert zu werden: Wie kann man sinnvoll mit einem Gegner streiten, der nicht einmal mit sich selbst einig ist? Die Vorwürfe des christianus treffen in der Tat Substantielles. Doch der Zweck dieser Vorwürfe ist offensichtlich nicht, dem philosophus, weil dieser mit seiner Beschimpfung die Eignung seiner Mitunterredner in Frage gestellt hat, nun seinerseits die Voraussetzungen für die Gesprächsteilnahme abzusprechen. Der Zweck der Vorwürfe liegt eher in dem Appell an den philosophus, den anderen Kolloquenten in höherem Maße als bisher den nötigen Respekt zu erweisen und auf Schimpfreden in Zukunft ganz zu verzichten. Für die Wirkung, die dieser Appell zeigen wird, ist es alles andere als belanglos, dass er in der Anwesenheit des aufmerksamen, auf argumentative und kommunikative Angemessenheit bedachten iudex vorgebracht wird. Der Beginn der zweiten collatio markiert m. E. den entscheidenden Wendepunkt des Gespräches: Durch die erubescentia des iudex irritiert und durch die Kritik des christianus auf die bedenklichen Züge seines Gesprächsverhaltens angesprochen, wird der philosophus in der zweiten Gesprächsrunde einen anderen Ton anschlagen, er wird die Argumente des Anderen ernster nehmen und v. a. den Gegner als Gegner und in seiner Wahrheitssuche akzeptieren.

       Beachtung verdient die beschwichtigende Verteidigung des philosophus:

Manchmal lassen sich die Menschen leichter durch Streitreden und Schmähungen herausfordern als durch Bitten und Beschwörungen umstimmen; und die so herausgefordert werden, bemühen sich eifriger um den Kampf, als jene, die umworben werden, sich von Zuneigung beeinflussen lassen. [115]

       Die Beschimpfungen sollten nach den Worten des philosophus die Vorbedingungen des Streitgespräches nicht unterminieren, sondern die Anstrengungen der Kombattanten durch ihre provokative Kraft gerade verstärken. Bedeutsam an dieser gesprächspsychologischen Überlegung ist die Instanz, auf die sich der philosophus in seiner Apologie beruft: die eigene intentio. Die Redebeiträge der Kolloquenten werden von Abaelard im Rahmen des Gesprächsgeschehens als Handlungen inszeniert, die sich in einem fingierten Realkontext abspielen. Wie nicht-verbale Handlungen werden auch die Sprechakte der Kolloquenten gelobt oder getadelt, verziehen oder nicht verziehen. Das entscheidende Kriterium für die Bewertung eines Sprechaktes ist die intentio des Handelnden. Damit steht die Gesprächshandlung, die Abaelard literarisch komponiert, auch in ihren pragmatischen Aspekten in Übereinstimmung mit der Ethik, die im Dialogus in den Redebeiträgen der Kombattanten thematisch entwickelt wird [116]. Die konkrete intentio, die der philosophus als Ursache seiner Äußerung angibt, unterstützt das Ziel des Streitgespräches, so dass der christianus die Entschuldigung akzeptiert: „Man muss Dir verzeihen, falls du dies in dieser Absicht getan hast.“ [117] Die Skepsis, die in den Worten des christianus mitschwingt, ist allerdings nicht zu überhören. Zwar stellt die intentio, auf die der philosophus rekurriert, die „richtige“ Berufungsinstanz dar, doch in eben dieser Bezugnahme wird – aus der Sicht des christianus – das Problem des Fremdpsychischen akut. Der christianus besitzt keinen direkten Zugang zu der intentio des philosophus, er ist daher angewiesen auf die Beteuerung seines Mitunterredners, dass ihn eben diese und keine andere intentio zu der kritisierten Äußerung veranlasst habe. Welcher intentio aber nun wiederum diese Beteuerung entspringt, kann der christianus nicht wissen [118]. Als Vorbedingung des Gesprächs scheint es jedoch unerlässlich, den Mitunterrednern eine Art Vertrauensvorschuss zu gewähren. Würde der christianus den Worten des philosophus keinen Glauben schenken, würde er ihm eine andere Absicht als die bekundete unterstellen, dann wäre dem Gespräch die Grundlage schon entzogen. Die gemeinsame Wahrheitsvergewisserung im Streitgespräch setzt also nicht nur die Wahrhaftigkeit der Kolloquenten, sondern auch das Vertrauen in die Wahrhaftigkeit der anderen Kombattanten notwendig voraus. Dass Zweifel an der Aufrichtigkeit des philosophus nicht ganz unbegründet sind, zeigen im übrigen die Ausfälle, die sich der philosophus auch noch im späteren Verlauf des Gesprächs gegen die Juden erlaubt [119]. Indem der philosophus den Juden die rationes sämtlich abspricht, bestreitet er, dass der iudaeus, der im Dialogus die Juden in exemplarischer Weise repräsentiert, über die philosophische Qualifikation verfügt, die ihn zu einem ernst zu nehmenden Gegner im Streitgespräch machen würde. Damit greift der Vorwurf des philosophus die gemeinsame Wahrheitsvergewisserung in ihren Fundamenten an: Ohne rationes wäre der iudaeus prinzipiell nicht in der Lage, gegen den philosophus, der die Anerkennung von auctoritates verweigert und nur rationes gelten lässt, in argumentativ zwingender Weise vorzugehen, seine Teilnahme am Gespräch wäre schlicht überflüssig. Auf die aktuelle Gesprächssituation angewendet, impliziert die antijüdische Polemik des philosophus durch die Diffamierung des Mitunterredners das notwendige Scheitern der gemeinsamen Wahrheitsbemühung [120]. Es sind eben diese Folgen destruktiven Gesprächsverhaltens, auf die der christianus den philosophus zu Beginn der zweiten collatio mit klaren Worten hinweist, um ihn – in Anwesenheit des iudex – zu einem veränderten Argumentations- und Gesprächsstil zu bewegen.

       Durch das keineswegs immer unproblematische Gesprächsverhalten der Kombattanten macht der Autor Abaelard noch auf weitere Gefahren aufmerksam, die der gelingenden Wahrheitssuche im Streitgespräch drohen. Betrachten wir zwei weitere Gesprächsmomente, die für die Vorbedingungen des Gespräches und die Funktion des iudex von Bedeutung sind. Konstitutiv für die Unternehmung ist, wie oben gezeigt, das geteilte Wahrheitsverlangen der Kolloquenten. Wenn sich einer der Gesprächsteilnehmer schon vor dem Urteil des iudex gewiss ist, im Besitz der Wahrheit zu sein, dann fehlt ihm das Wahrheitsverlangen, durch das die gemeinsame Unternehmung erst ihren Sinn gewinnt. Das Streitgespräch – als Weg der Vergewisserung – muss derjenige für überflüssig halten, der sich selbst schon im Stand der Gewissheit wähnt. Dieses Fehlverhalten einer verfrühten Gewissheit demonstriert Abaelard an dem christianus, wenn dieser die Auseinandersetzung mit dem philosophus – wegen der Konversion der großen Philosophen zum Christentum – bereits für entschieden hält:

Vielmehr ist es nach der Bekehrung so bedeutender Philosophen weder dir [sc. dem philosophus] noch der Nachwelt erlaubt, an unserem Glauben zu zweifeln, noch scheint es mehr eines solchen Aufeinandertreffens zu bedürfen. Denn warum solltet ihr bei den weltlichen Disziplinen in allem deren Autorität vertrauen und euch nicht durch deren Beispiel zum Glauben bewegen lassen, indem ihr mit den Propheten sprecht: ‚Auch wir sind nicht besser als unsere Väter.‘? [121]

       In seiner Widerrede [122] entlarvt der philosophus die Autoritätsstruktur dieser Argumentation. Offensichtlich versucht der christianus, seinen Mitunterredner in eine Art performativen Selbstwiderspruch zu verwickeln: Wenn sich der philosophus von jeder Autorität distanziert, dann steht er in der Nachfolge der Männer, die schon vor ihm jede Autorität abgelehnt haben. Der kritische Punkt liegt nun in der Aufforderung, diese Vorgänger als Vorbilder zu verehren, d. h. sich der Autorität eben jener Männer zu beugen, die selbst jede Autorität ablehnen. Es zeugt von der Kompetenz des philosophus, dass er diese Falle aufdeckt und damit die Konsequenzen, die der Erfolg dieses Arguments für das gesamte Gesprächsgeschehen hätte, abwendet. Selbst wenn sich die großen Philosophen aus freiem Entschluss zum Christentum bekehrt haben – was der philosophus bereits in Frage stellt –, ist damit ja noch nicht garantiert, dass dieser Entschluss auch vor der kritischen Prüfung durch die ratio Bestand hat; selbst die großen Philosophen können sich mitunter irren, kein Mensch repräsentiert die Wahrheit. Daher darf man sich nicht einfach auf das Vorbild der großen Philosophen verlassen, durch deren Konversion die offenen Streitfragen des Gesprächs noch keineswegs geklärt sind. Indem der philosophus die Autorität der scripturae und die Autorität seiner philosophischen „Väter“ ausdrücklich bestreitet, bekennt er sich nachdrücklich zu dem wahrheitssuchenden Charakter des Streitgesprächs.

       Das konträre Fehlverhalten zu der verfrühten Gewissheit besteht in der vorzeitigen Aufgabe der eigenen Position. Jeder Gesprächsteilnehmer muss zwar grundsätzlich bereit sein, seine Überzeugungen zu revidieren, er ist aber auch gehalten, seine eigenen Anschauungen so gut wie möglich zu vertreten. Wer nachgibt, wo ihn die gegnerischen rationes noch nicht zum Nachgeben zwingen, strengt sich nicht genug an, d. h. er spart an genau den Kräften, die der gemeinsamen Wahrheitssuche zugute kommen sollen. Ein bloß faktischer Konsens, der nicht sachlich gegründet, nicht durch rationes gefestigt ist, untergräbt die Möglichkeiten einer gelingenden Wahrheitssuche. Abaelard bringt auch die Gefahren, die der wechselseitigen Vergewisserung durch einen vorschnellen Konsens drohen, in der Gesprächshandlung des Dialogus zur szenischen Darstellung. In der Auseinandersetzung um das angemessene Verständnis des Glücks (die beatitudo als causa finalis der virtutes) unterbreitet der philosophus dem christianus ein Konsensangebot [123]: In der Frage nach dem Glück bestehe Uneinigkeit doch nur dem Namen nach, in der Sache aber sei man sich einig [124]. Der christianus aber lehnt das Konsensangebot mit deutlichen Worten ab:

Vielmehr sind, soweit ich es begreife, unsere und eure Absicht ebenso wie die Verdienste in dieser Hinsicht bei weitem verschieden, und über das höchste Gut selbst sind wir auch nicht unbeträchtlich im Widerstreit. [125]

       Wie leicht zu sehen ist, besteht der christianus auf dem Dissens in kommunikativer und wahrheitsorientierter Absicht. Gemessen an dem Ziel der gemeinsamen Wahrheitssuche kann ein Dissens, der zur rechten Zeit erfolgt, zum Gelingen, ein Konsens, der zur Unzeit erfolgt, zum Misslingen des Gespräches beitragen. In der inszenierten Gesprächshandlung wird denn auch sogleich vorgeführt, wie fruchtbar der Dissens für die Sachdiskussion ist, wie Aspekte neu in die Auseinandersetzung eingebracht werden, die unbeachtet geblieben wären, wenn der christianus das Konsensangebot des philosophus angenommen hätte.

       Durch die angeführten „kritischen“ Momente des Gespräches soll nicht der Eindruck erweckt werden, die gesamte zweite collatio sei von Spannungen geprägt. Das Gegenteil ist der Fall: Die Kombattanten zeigen sich vor dem iudex in der Lage, die kritischen Momente der Unterredung als solche zu bemerken, zu überwinden und im Umgang mit diesen Momenten die kommunikativen und argumentativen Vorbedingungen ihrer Unterredung besser zu erkennen. Was die Gesprächshandlung des Dialogus präsentiert, ist ein Lernprozess, in dem auch der unerfreulichen ersten collatio eine wichtige Rolle zukommt: Die Kombattanten lernen in praxi zu philosophieren und philosophierend Theologie zu treiben. Sie lernen, sich zu verständigen oder zumindest nach neuen Verständigungsmöglichkeiten zu suchen. Insbesondere der philosophus beginnt, nach dem aufschlussreichen Beginn der zweiten collatio die philosophischen Qualitäten des christianus zu achten, den Gegner im Streit und den Partner in der Wahrheitssuche auch in seiner Andersheit zu respektieren. Je länger sie andauert, desto deutlicher unterscheidet sich die zweite Gesprächsrunde von der ersten. Für den Interpreten wird es schwierig, die inhaltliche Position des philosophus noch klar von der des christianus zu scheiden. Während in der ersten collatio jede Aussage des iudaeus nur eine Aussage des iudaeus und jede Aussage des philosophus nur eine des philosophus sein kann, werden in der zweiten collatio die inhaltlichen Behauptungen der Kombattanten zunehmend austauschbar. Noch wichtiger als die Verbreiterung der gemeinsamen inhaltlichen Basis ist, dass christianus und philosophus in der Anwesenheit des schweigenden iudex zu einer Methode der Argumentations- und Gesprächsführung finden, mit der sich alle Kolloquenten einverstanden zeigen können. Vor dem Hintergrund der gemeinsamen intentio werden die Differenzen zwischen den professiones der Kombattanten zwar nicht überspielt, doch zeigt sich das fruchtbare Bemühen, Argumentationsstandards und Gesprächsformen zu entwickeln, für die nicht mehr nur ein einzelner Kombattant repräsentativ steht. Daher kann der christianus am Ende des Gesprächs gegen den philosophus, der anfangs nur „reine“ rationes anerkannt hat, auch auctoritates scripturae argumentativ ins Feld führen [126]. Was dem philosophus als gute Argumentation gilt und was nicht, hat sich im Verlauf des Gespräches geändert, er hat nicht nur inhaltlich, sondern vor allem auch methodisch durch die collatio mit dem christianus gewonnen.

       Besonderes Gewicht kommt dem Schweigen des philosophus gegen Ende der zweiten collatio zu: Hat er nach der ersten Gesprächsrunde noch seinen Sieg reklamiert und das iudicium des iudex gefordert, so bleibt er am Ende der zweiten Runde stumm. Das Verständnis, das der philosophus und die beiden übrigen Kombattanten [127] von der Aufgabe des iudex und damit von dem Gelingen der gesamten Gesprächsunternehmung haben, hat sich während der Unterredung merklich geändert. Zu Beginn der Auseinandersetzung sehen sie in dem iudex nur denjenigen, der schließlich das iudicium fällen wird, doch während der Unterredung machen sie das Selbstverständnis des iudex, der nicht auf letzte Gewissheit, sondern auf das Gelingen argumentativer Vergewisserung aus ist, zu ihrem eigenen. Die Änderungen in der Gesprächsauffassung der Kombattanten haben unmittelbare praktische Folgen, wie sich an ihrem geänderten Gesprächsverhalten [128] sogleich ablesen lässt. Am Ende des Gespräches schließlich hat sich die Hoffnung des iudex erfüllt, die Zurückhaltung des iudicium hat dem gemeinsamen Wagnis keinen Abbruch getan. Keiner der Kombattanten hat einen Urteilsspruch zu seinen Gunsten erhalten, aber auch keiner der Kombattanten hat noch das Bedürfnis nach einem solchen Urteilsspruch. An die Stelle des anfangs erhofften iudicium, das alle Unterredung ein für allemal beendet, ist die neu erworbene kommunikative und methodische Fähigkeit getreten, so miteinander philosophierend Theologie zu treiben, dass die inhaltlich erzielbaren Resultate ausgezeichnet sind. Ausgezeichnet durch eine „rationale“ Rechtfertigbarkeit vor dem Forum geteilter Argumentations- und Gesprächsstandards.

 


Anmerkungen


[1] Abaelards Dialogus wird zitiert nach der kritischen Edition von Rudolf Thomas (Petrus Abaelardus, Dialogus inter Philosophum, Iudaeum et Christianum, hrsg. von R. Thomas, Stuttgart – Bad Cannstatt 1970). Trotz der Kritik von Giovanni Orlandi (G. Orlandi, Per una nuova edizione del „Dialogus“ di Abelardo, in: Rivista critica di storia della filosofia 34 (1979), pp. 474–494) muss Thomas´ Edition bislang als maßgeblich betrachtet werden. Allerdings ist laut Auskunft von Christoph Auffarth (Chr. Auffarth, „Dialog“ mit dem Islam. Anmerkungen aus der Sicht mittelalterlicher Christen. Aus Anlass der ersten Bände des ‚Corpus Islamo-Christianum‘ (CISC), in: Wissenschaft und Weisheit 59 (1996), pp. 131–143, hier p. 141) eine neue kritische Edition des Textes im Rahmen des Corpus Christianorum, Continuatio Mediaeualis von Giovanni Orlandi in Aussicht gestellt. Neben der deutschen Übers. von H.-W. Krautz, nach der im folgenden zitiert wird, (Peter Abailard, Collationes sive Dialogus inter Philosophum, Iudaeum et Christianum / Gespräch eines Philosophen, eines Juden und eines Christen, übers. und hrsg. von H.-W. Krautz, Frankfurt/M. – Leipzig 1995; vgl. R. Illgner, Anmerkungen zu einer neuen Übersetzung von Abaelards ‚Dialogus inter philosophum, Judaeum et Christianum‘, in: Zeitschrift für Theologie und Philosophie 71 (1996), pp. 566–572) stehen auch neuere englische, italienische und französische Übertragungen zur Verfügung: Peter Abelard, A Dialogue of a Philosopher with a Jew, and a Christian, übers. von P. J. Payer, Toronto 1979 (Mediaeval sources in translation, Bd. 20); Peter Abelard, Ethical Writings. His ‚Ethics‘ or „Know yourself“ and his ‚Dialogue between a Philosopher, a Jew and a Christian‘, übers. von P. V. Spade, mit einer Einführung von M. McCord Adams, Indianapolis – Cambridge 1995; Pietro Abelardo, Dialogo tra un filosofo, un Giudeo e un Cristiano, übers. und hrsg. von G. Dotto, Florenz 1991 (Biblioteca medievale, Bd. 11); Pietro Abelardo, Dialogo tra un filosofo, un Giudeo e un Cristiano, übers., komm. und hrsg. von Cr. Trovò, mit einer Einführung von M. Fumagalli Beonio Brocchieri, Mailand 1992; Pierre Abélard, Conférences, Dialogue d´un philosophe avec un juif et un chrétien. Connais-toi toi-même, Éthique, übers. M. de Gandillac, Paris 1993.

[2] Der Titel „Collationes“, der mit dem üblicheren „Dialogus“ konkurriert, kann für sich in Anspruch nehmen, dass ihn der Autor Abaelard selbst zur Bezeichnung seines Werkes verwendet hat: Expositio in Hexaemeron, in: Petri Abælardi ... Opera omnia, hrsg. von J.-P. Migne, Paris 1885, coll. 729–784 (Patrologia Latina [=PL], Bd. 178), hier 768B: „Quid autem proprie bonum ac per se, scilicet sine adjectione, vel quid malum sive indifferens dicatur, in secunda collatione nostra quantum arbitror satis est definitum.“ Auch die Dialogfiguren des Textes gebrauchen, wenn sie auf ihr Gespräch zu sprechen kommen, diesen Terminus (Dial., p. 42, l. 31; p. 46, l. 154; p. 47, l. 169; p. 84, l. 1156; p. 88, l. 1260). Der Begriff „Dialogus“ dagegen kommt im gesamten Text kein einziges Mal vor. Von den sechs überlieferten Handschriften (1. Wien, Österreichische Nationalbibliothek MS 819; 2. London, British Museum Royal XI. A. 5; 3. Oxford, Balliol College MS 296; 4. Oxford, Queen´s College MS 284; 5. Oxford, Corpus Christi College MS 312; 6. Cambridge, Trinity College MS O. 5. 16) führt zwar eine der Oxforder Handschriften (Balliol College MS 296) entsprechend den Titel „Collaciones“, doch gerade die Wiener Handschrift, die der Erstedition des Textes von F. H. Rheinwald (Berlin 1831) zugrunde lag, ist mit dem Titel „Dialogus Petri Baiolardi“ überschrieben. Der von Rheinwald in „Dialogus inter philosophum, iudaeum et christianum“ umgeänderte Titel hat sich im Laufe der Forschungsgeschichte durchsetzen können, er findet sich sowohl bei Migne (PL 178, col. 1609) als auch in der kritischen Edition von R. Thomas (vgl. C. Mews, On dating the works of Peter Abelard, in: Archives d´histoire doctrinale et littéraire du Moyen Âge, Bd. 52, Jg. 60 (1985), pp. 73–134, hier pp. 104–105).

[3] R. Thomas, Der philosophisch-theologische Erkenntnisweg Peter Abaelards im Dialogus inter Philosophum, Judaeum et Christianum, Bonn 1966, pp. 19–20 (Untersuchungen zur allgemeinen Religionsgeschichte, NF Bd. 6).

[4] Mews, On dating the works of Peter Abelard (s. o. Fn. 2). Gegen die Datierung des Dialogus in die letzten Lebensjahre Abaelards hat bereits Buytaert Einwände geltend gemacht (E. M. Buytaert, Abelard´s Collationes, in: Antonianum 44 (1969), pp. 18–39), die Thomas nicht überzeugend entkräften konnte (R. Thomas, Die Persönlichkeit Peter Abaelards im ‚Dialogus inter Philosophum, Judaeum et Christianum‘ und in den Epistulae des Petrus Venerabilis – Widerspruch oder Übereinstimmung?, in: R. Louis / J. Jolivet / J. Châtillon (Hrsg.), Pierre Abélard – Pierre le Vénérable. Les courants philosophiques, littéraires et artistiques en occident au milieu du XIIe siècle, Paris 1975, pp. 255–269 (Colloques internationaux du centre national de la recherche scientifique, Bd. 546). Mit der Untersuchung von Constant Mews darf die Streitfrage m. E. als entschieden gelten. Zu beachten sind allerdings die Kritikpunkte, die Julie Allen jüngst gegen Mews herangeführt hat (J. Allen, On the Dating of Abailard´s Dialogus: A Reply to Mews, in: Vivarium 36 (1998), pp. 135–151).

[5] Zu den sog. Parakletschriften sind der Tractatus de intellectibus, die Logica Nostrorum petitioni sociorum und das Soliloquium zu zählen. Darüber hinaus hat Abaelard auf dem Paraklet einige Bücher von Sic et non und der Theologia christiana überarbeitet, andere neu verfaßt. Ob die nicht überlieferten Schriften Grammatica und Rhetorica wirklich zur Ausarbeitung gekommen oder von Abaelard nur geplant worden sind, ist unsicher.

[6] Der Begriff „Fragment“ ist notorisch doppeldeutig. Mit der Frage nach einem möglichen Fragmentcharakter des Dialogus ist hier nicht die unvollständige Überlieferung des Textes, sondern die Tatsache gemeint, dass der Autor sein Werk nicht vollendet hat. Dabei ist das Problem, wann ein Text denn als vollendet gelten darf, sicher nicht leicht zu lösen. Die gerne ins Spiel gebrachte Intention des Autors stellt wegen ihrer literaturtheoretisch äußerst fragwürdigen Zugänglichkeit kein unbedenkliches Kriterium dar.

[7] Vergegenwärtigt man sich die recht unruhige Arbeitsweise Abaelards, der oft und insbesondere auf dem Paraklet an verschiedenen Schriften zugleich gearbeitet, Werke begonnen, zeitweise liegengelassen und erst später fortgeführt und überarbeitet hat, so wird verständlich, dass der Tod des Autors nicht den einzig denkbaren Grund darstellt, warum der Dialogus eventuell nicht fertiggestellt wurde.

[8] Aus der Sicht eines kritischen Literaturtheoretikers muss auch diese methodologische Regel, die nicht zuletzt in pragmatischer Absicht vorgeschlagen wird, bedenklich wirken. Für mildernde Umstände könnte sorgen, dass die Autorintention als Kriterium für den Fragmentcharakter des Textes nur geltend gemacht wird, sofern sie sich im Text manifestiert. Verwendet man die von Umberto Eco etablierte Terminologie, so ist es nicht die Intention des empirischen resp. historischen Autors (intentio auctoris), die hier als Kriterium fungieren soll, sondern die Intention des Modellautors, die mit der Textintention (intentio operis) zusammenfällt. Vgl. U. Eco, Die Grenzen der Interpretation, aus dem Ital. übers. von G. Memmert, München – Wien 1992, insbes. pp. 27–55 (Originalausgabe: I limiti dell´interpretazione, Mailand 1990); ders., Zwischen Autor und Text. Interpretation und Überinterpretation, mit Einwürfen von R. Rorty, J. Culler, Chr. Brooke-Rose und St. Collini, aus dem Engl. übers. von H. G. Holl, München – Wien 1994, insbes. pp. 75–98 (Originalausgabe: Interpretation and Overinterpretation, Cambridge 1992).

[9] Zwar gibt es Anzeichen, dass Abaelard noch eine gründlichere Ausarbeitung der zweiten collatio beabsichtigt hat, für das Gesamtverständnis der fingierten Gesprächshandlung ist dies allerdings nicht erheblich. Vgl. P. von Moos, Abaelard: ‚Collationes‘ (Gespräche eines Philosophen mit einem Juden und einem Christen), in: K. Flasch (Hrsg.), Interpretationen. Hauptwerke der Philosophie. Mittelalter, Stuttgart 1998, pp.129–150, hier pp.129–130.

[10] In bezug auf die oben aufgestellte methodologische Regel heißt dies, dass der weitere Verlauf des Textes gute Gründe dafür liefert, warum bestimmte, zu Beginn des Textes angekündigte Inhalte nicht präsentiert werden, entsprechend entfällt die Berechtigung, von einem Fragmentcharakter der Schrift zu sprechen.

[11] Dial., pp. 42–43, ll. 45–52: „Quod vero ingenii tui sit acumen, quantum philosophicis et divinis sententiis memorie tue thesaurus abundet, preter consueta scolarum tuarum studia, quibus in utraque doctrina pre omnibus magistris etiam tuis sive ipsis quoque repertarum scientiarum scriptoribus constat te floruisse; certum se nobis prebuit experimentum opus illud mirabile theologie, quod nec invidia ferre potuit nec auferre prevaluit, sed gloriosius persequendo effecit.“

[12] Abaelards Verurteilung auf der Synode von Sens im Juni 1140 lag nicht die Theologia christiana, sondern neben anderen Texten bereits die dritte Version seiner Theologia, die Theologia Scholarium, zugrunde.

[13] Dial., p. 98, ll. 1497–1503: „Inter nos, qui hec recipimus, habent ista locum et maxime rationibus nonnunquam fidem astruendam esse vel defendendam, de quibus quidem memini contra eos, qui fidem rationibus vestigandam esse denegant, secundus etiam Theologie xpistiane liber tam virtute rationum quam auctoritate scriptorum plenius disserit et rebelles convincit.“

[14] Verdeckte und offene Aussagen über und gegen „antidialektische“ Positionen finden sich nicht selten im Dialogus. Die markanteste Angriffsrede gegen die „Anti-Dialektiker“ lässt Abaelard den philosophus in der ersten collatio vorbringen (Dial., pp. 44–46, ll. 80–144). Vgl. die Invektiven gegen die „Anti-Dialektiker“ in Abaelards 13. Brief (s. u. pp. 188–189) und in seiner Dialectica, Prolog zu Buch IV, hrsg. von C. M. de Rijk, Assen 1956, 2., verb. Aufl. 1970, pp. 469–471.

[15] Dass Abaelard keinen „Anti-Dialektiker“ am Gespräch teilnehmen lässt, hat gute Gründe. Ein „Anti-Dialektiker“ zeichnet sich nach Abaelard durch den Mangel an rationes aus, damit hat er nichts zu suchen in einem Gespräch, das die Wahrheit in einer argumentativen Auseinandersetzung, durch den Vergleich von rationes, zu erreichen hofft. Es ist eine Gemeinsamkeit aller mir bekannten philosophischen Dialoge im Mittelalter, dass eine strenge Vorauswahl der Kolloquenten, die überhaupt zum Gespräch zugelassen werden, getroffen wird. Während Platon in seinen Dialogen gelegentlich auch Gesprächspartner vorführt, die „eigentlich“ gar nicht gesprächsfähig sind – wie Kallikles im Gorgias oder Thrasymachos in der Politeia –, bleiben solch problematische Figuren in den mittelalterlichen Dialogen qua Autorentscheidung immer außen vor, so dass eine starke Idealisierung, um nicht zu sagen: eine Domestizierung der Kolloquenten herrscht. Dies hat weiter zur Folge, dass die Vertreter bestimmter Positionen prinzipiell vom Gespräch ausgeschlossen werden, „weil sich mit solchen Menschen ja ohnehin nicht reden lässt“. Will man dennoch einen überzeugten Hedonisten oder einen radikalen Skeptiker – natürlich zu seiner Widerlegung – präsentieren, dann bleibt nur, diese Rollen von einem der gesprächsfähigen Kolloquenten „spielen“ zu lassen, man denke an Platons Philebos oder Augustins Contra academicos. Allerdings wird diese Darstellungsmöglichkeit erkauft durch eine entscheidende Verkürzung der nun – durch die Fiktion in der Fiktion – gesprächsfähig gewordenen Position: Ist die Skepsis etwa nicht nur inhaltlich, sondern auch performativ definierbar, dann verliert sie diesen performativen Zug, wenn jemand den Skeptiker nur „spielt“, d. h. seine „Thesen“ vertritt, ohne sich auch gesprächspragmatisch als Skeptiker zu gebärden. Kurz: Der Skeptiker wird, um seine Sache gesprächsfähig zu machen, als Dogmatiker eigener Art dargestellt.

[16] Nach Joachim Dalfen können Texte, die den Rezipienten zum Nachdenken über Kommunikation ermuntern wollen, ihr Ziel auf zwei Weisen erreichen: „entweder immanent, d. h. durch eine Darstellung des Redegeschehens, die beim Leser die Reflexion über die Art der Kommunikation anregt, oder explizit, indem die Kommunikation selbst thematisiert wird, indem innerhalb des Redegeschehens über die Art gesprochen wird, wie die Personen miteinander reden, indem also das Sprechen der Personen des Textes selbst zum Inhalt des Textes wird.“ (J. Dalfen, Platonische Intermezzi – Diskurse über Kommunikation, in: Grazer Beiträge 16 (1989), pp. 71–123, hier p. 74) Das terminologische und methodologische Instrumentarium, das Dalfen in mehreren Aufsätzen (J. Dalfen, Die philosophische Aussage der künstlerischen Gestaltung platonischer Dialoge, in: F. Hörmann (Hrsg.), Gegenwart der Antike, München 1974, pp. 5–21; ders., Gedanken zur Lektüre platonischer Dialoge, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 29 (1975), pp. 169–194; ders., Literarische Techniken Platons, in: Università di Padova. Bollettino dell´Istituto di Filologia Greca 5 (1979/80), pp. 41–60) zur Interpretation der platonischen Dialoge entwickelt und in lohnender Weise eingesetzt hat, soll in der vorliegenden Arbeit auch für die Deutung von Abaelards Dialogus fruchtbar gemacht werden.

[17] Dial., p. 41, l. 2: „Aspiciebam in visu noctis ...“; Übers. Krautz p. 9.

[18] Dial., p. 41, ll. 3–4: „... iuxta visionis modum ...“

[19] Payer gibt die Anfangsworte des Textes mit: „I was looking about in a dream ...“ wieder (Peter Abelard, Dialogue (s. o. Fn. 1), p. 19). Nach Hans Liebeschütz erzählt die Einleitung von einer „Traumerscheinung“ (H. Liebeschütz, Die Stellung des Judentums im Dialogus des Petrus Abaelard, in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 83 (1939), pp. 390–405, hier p. 390), Lothar Steiger deutet die visio als „Nachtgesicht“ (L. Steiger, Hermeneutische Erwägungen zu Abaelards Dialogus, in: R. Thomas / J. Jolivet / D. E. Luscombe / L. M. de Rijk (Hrsg.), Petrus Abaelardus (1079 – 1142). Person, Werk und Wirkung, Trier 1980, pp. 247–265 (Trierer Theologische Studien, Bd. 38), hier p. 247), Charles Lohr spricht davon, dass in „der Einleitung des Dialogs ... von einem Traum die Rede [ist], in welchem Abaelard erfährt, dass er Schiedsrichter einer Disputation zwischen drei Gelehrten sein soll.” (Ch. Lohr, Peter Abälard und die scholastische Exegese, in: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 28 (1981), pp. 95–110, hier p. 104), und auch Ursula Niggli begreift den Dialogus als „Niederschrift eines Traumes“ (U. Niggli, Abaelards Ideen über die jüdische Religion und seine Hermeneutik im Dialogus, in: Wiener Jahrbuch für Philosophie 26 (1994), pp. 43–59, hier p. 57, Fn. 29). Vgl. Thomas, Der philosophisch-theologische Erkenntnisweg (s. o. Fn. 3), p. 23.

[20] Die fiktional gestaltete Person, die zu Beginn des Textes als Erzähler und Berichterstatter auftritt, nimmt zwar selbst an dem Gespräch teil, dies jedoch nicht als Erzähler, sondern – so trivial es klingen mag – als Gesprächsteilnehmer. D. h. der Autor gibt zu verstehen, dass zwischen dem Erzähler und dem Gesprächsteilnehmer, der in der Unterredung als Schiedsrichter fungieren soll, eine personale Identität besteht. Damit ist aber keineswegs die textstrategisch bedeutsame Differenz zum Verschwinden gebracht, die zwischen der Rolle des Erzählers und dem Status des iudex als dramatischer Figur besteht.

[21] Mit meiner Kritik an der Deutung der visio als Traum schließe ich mich inhaltlich R. Thomas an, der die visio zu Recht als „geistig wache Vorstellung“ (R. Thomas, Der philosophisch-theologische Erkenntnisweg (s. o. Fn. 3), p. 24.) auffaßt. Allerdings ist nach meiner Interpretation mit der im Text beschriebenen visio nur die visio des Erzählers und nicht zugleich – wie bei Rudolf Thomas – auch die visio des Autors gemeint.

[22] Vgl. etwa Dial., p. 133, l. 2447; p. 138, ll. 2596–2597; p. 139, l. 2623 u. ö.

[23] Selbst wenn man den vom Ich-Erzähler erfahrenen und geschilderten Akt der visio als ein göttliches Geschenk begreift, wozu der Text im übrigen keineswegs zwingt, ist einzusehen, dass in der visio kein göttliches Wissen, sondern „lediglich“ das menschliche Denken in Hochform erfahren wird.

[24] „Tum ego ...“ (Dial., p. 43, l. 53), „Assentiunt ...“ (Dial., p. 44, l. 79) und ähnliche Formulierungen zeigen deutlich den narrativen Duktus, der den Beginn der Gesprächsschilderung durch den Erzähler ausmacht.

[25] Der mit Dial., p. 44, l. 79 auf l. 80 erfolgende Wechsel von der narrativen zur dramatischen Dialoggestaltung macht sich bemerkbar in der Beschränkung auf die Juxtaposition der Lemmata. Ganz folgerichtig spricht der Erzähler von sich selbst (in seiner dramatischen Rolle als Gesprächsteilnehmer) nicht mehr (wie noch in Dial., p. 43, l. 53) mit „ego“, sondern mit „iudex“ (Dial., p. 84, l. 1165). Mit dem Einleitungsteil des Dialogus hat Abaelard einen narrativen Rahmen geschaffen, der das dramatisch inszenierte Gespräch einkleidet. Dem Rezipienten des Textes wird das Gesprächsgeschehen also nicht in der unmittelbaren Präsenz eines Dramas vorgeführt, sondern in der gebrochenen und vermittelten Erfahrung, wie sie der Ich-Erzähler in seinem Rede-, der zugleich Erfahrungsbericht ist, beschreibt. Durch ihren narrativen Einleitungsteil wird Abaelards Schrift zum diëgmatischen, zum erzählenden, besser: zum erzählten Dialog, der sich deutlich abhebt von einem rein dramatischen Dialog, der von Beginn an alle narrativen Elemente ausschließt und sich mit der Juxtaposition der Lemmata begnügt. Zur Typologie und Klassifizierung von Dialogformen nach formalen oder funktionalen Ordnungsbegriffen vgl. P. L. Schmidt, Zur Typologie und Literarisierung des frühchristlichen lateinischen Dialogs, in: A. Cameron u. a., Christianisme et formes littéraires de l´antiquité tardive en occident, Genf 1977, pp. 101–173, insbes. p. 106 (Entretiens sur l´antiquité classique [Fondation Hardt], Bd. 23).

[26] Die durch den diëgmatischen Charakter des Dialogus erzielte Doppelheit von erzähltem Vorgang und Erzählvorgang macht sich gerade auch in der Differenz von erzählter Zeit und Erzählzeit bemerkbar. Der Moment, zu dem der Erzähler seinen Redebericht darbietet, liegt – wie schon das Präteritum der Erzählerrede zeigt – zeitlich nach der Erfahrung der Gesprächshandlung im spezifischen Modus der visio. Zu den Zeitbezügen des Erzählens vgl. E. Lämmert, Bauformen des Erzählens, Stuttgart 81993, pp. 19–24.

[27] Vgl. G. Bauer, Zur Poetik des Dialogs. Leistungen und Formen der Gesprächsführung in der neueren deutschen Literatur, Darmstadt 1969, p. 64: „Der Berichterstatter übt eine eigene Gewalt über die Reden aus, kann sie über ihren wörtlichen Sinn hinaus deuten, subjektiv färben und einordnen. Er präsentiert sie nicht primär als Aussage und Anspruch dessen, der sie formuliert hat, sondern als Impression des Aufnehmenden, sei es des angesprochenen Partners oder eines unbeteiligten oder nur gedachten Zuhörers.“

[28] Dial., p. 41, ll. 2–3: „... viri tres diverso tramite venientes ...“; Übers. Krautz p. 9.

[29] Dial., p. 42, ll. 40–41: „Ac deinde tanquam adulationis oleum vendens et caput meum hoc ungento demulcens ...“; Übers. Krautz p. 11.

[30] Eine Ausnahme liegt allerdings in Dial., pp. 84–85, ll. 1165–1171 vor. Hier spricht Abaelard nicht als dramatis persona, sondern als Erzähler über die Antwort, die er dem philosophus auf dessen Forderung nach einem iudicium gegeben hat. Zwar wird in der textkritischen Ausgabe von Rudolf Thomas selbst der Satz „In quo omnes pariter assenserunt, eodem accensi desiderio discendi.“ (Dial., p. 85, ll. 1170–71) als direkte Rede des iudex angeführt. Tempus und Inhalt der Aussage lassen jedoch darauf schließen, dass diese Bemerkung als Kommentar des Erzählers und nicht als Redebeitrag des iudex aufzufassen ist.

[31] Thomas, Der philosophisch-theologische Erkenntnisweg (s. o. Fn. 3), p. 24.

[32] Die Interpretation, die Rudolf Thomas vertritt, steht und fällt mit seiner Überzeugung, dass Abaelard den Dialogus in den letzten Monaten seines Lebens im Kloster von Cluny verfaßt habe. Die von Mews erzwungene Vordatierung des Textes verdeutlicht, wie problematisch die vorrangig autorbiographisch ausgerichteten Dialogus-Interpretationen in methodologischer Sicht sind: Wer würde die Worte des Petrus Venerabilis über die Arbeitsenergie Abaelards als Hinweis auf eine visio deuten, wenn er sich nicht schon vorab dafür entschieden hätte, die visio des Erzählers als die visio des Verfassers zu verstehen?

[33] Die Gleichsetzung von Autor und Ich-Erzähler verleitet nicht wenige Interpreten des Dialogus zu einer klassischen documentary fallacy: Zu der fiktionalen Existenz der literarischen Figuren und der literarisch inszenierten Gesprächshandlung wird eine außerfiktionale Realität hinzugedacht, die der Text nach Art eines Protokolls abbilde. Folge dieser interpretativen Fehlleistung ist, dass der dramaturgische Gestaltungswille des Autors entschieden zu wenig berücksichtigt wird.

[34] In diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass die Beiträge des iudex innerhalb des Redeberichts nicht etwa mit „ABAELARDUS“, sondern mit „IUDEX“ markiert sind, bezeichnend. – Wer mit methodologischen Differenzierungen, die in der heutigen Literaturwissenschaft nahezu selbstverständlich sind, an philosophisch und theologisch bedeutsame Texte des Mittelalters herantritt, sieht sich schnell dem „Modernismus“-Vorwurf ausgesetzt: Wie kann man die Trennung zwischen literarischen Figuren und Autor nur an einen Text herantragen, dessen Verfasser diese Unterscheidung gar nicht macht, vielleicht gar nicht machen will? An dieser Stelle möchte ich mich nicht gegen die ihrerseits leicht angreifbaren hermeneutischen und geschichtsphilosophischen Voraussetzungen wenden, die Modernismus-Vorwürfen solcher Art zugrunde liegen, sondern schlicht auf die Tatsache verweisen, dass die hermeneutisch reflektierte Trennung zwischen literarischen Figuren und Autor keineswegs eine neue Errungenschaft moderner Philologie ist. Werfen wir nur einen Blick auf Augustinus´ Sermo 105: In diesem Text, cap. VII, 10, hrsg. von J.-P. Migne, in: Sancti Aurelii Augustini ... Opera omnia, Bd. 5, Paris 1845, coll. 618–625 (PL 38), hier coll. 622–623, bringt Augustinus – vielleicht referierend – den Anklagepunkt zur Sprache, der Dichter Vergil habe in der Aeneis mit der These, das römische Imperium habe kein Ende, eine irrtümliche und fehlerhafte Auffassung vertreten. Augustinus formuliert diese Kritik zunächst so, als wolle er selbst Vergil verfolgen und beschuldigen. Plötzlich aber wechselt er die Seite und verteidigt Vergil, indem er ihn sich selbst auf recht überzeugende Weise verteidigen lässt. Natürlich, so kann man die Argumentation des augustinischen Vergil paraphrasieren, steht in meiner Aeneis der Satz Jupiters, er habe den Römern ein imperium sine fine gegeben. Natürlich weiß auch ich, Vergil, dass dieser Satz falsch ist. Doch habe ich diesen Satz ja nicht selbst behauptet (ex persona mea), sondern meinen Jupiter behaupten lassen. Für das aber, was Jupiter da sagt, bin nicht ich verantwortlich zu machen, zumal ich an einer anderen Stelle, in den Georgica nämlich, deutlich gemacht habe, wie ich selbst (ex persona mea) die Sache sehe, nämlich so, wie sie sich wirklich verhält; und damit vertrete ich gerade die Gegenposition zu der irrtümlichen Auffassung Jupiters. Augustinus hat diese Verteidigung Vergils nicht ohne Geschick und nicht ohne Humor inszeniert; das entscheidende Moment der Apologie bleibt die argumentativ eingesetzte Unterscheidung zwischen Autor und literarischer Figur, wobei die Frage, wer das in einem literarischen Text Gesagte und Behauptete zu verantworten hat, besondere Beachtung findet. Ihren literarischen Reiz entwickelt diese Passage nicht zuletzt durch den Umstand, dass die Unterscheidung zwischen Autor und literarischer Figur in dem Sermo nicht nur thematisch wird, sondern in der eigenen Performanz des augustinischen Textes selbst zum Ausdruck kommt, so dass der Inhalt sozusagen in der Form wieder auftaucht: Augustinus lässt Vergil sagen, er habe Jupiter etwas sagen lassen, was er (sc. der augustinische Vergil) so nicht selbst sagen würde. Auf diese Weise „rettet“ Augustinus seinen Vergil, der nicht – wie seine Ankläger irrtümlich meinen – die Verantwortung für das zu tragen hat, was er nicht in eigener Person geäußert, sondern (bloß) in der inszenierten Rede des Jupiter zur Sprache gebracht hat.

[35] Niggli, Abaelards Ideen (s. o. Fn. 19), p. 45. Vgl. auch von Moos, Abaelard: ‚Collationes‘ (s. o. Fn. 9), p. 134: „Wie so oft in der Gattungsgeschichte des Dialogs ist das Gedankendrama hier auch eine strategische Tarnung gegen Zensur.“

[36] Einen hervorragenden Einblick in die Theologenprozesse des 12. Jahrhunderts vermittelt: J. Miethke, Theologenprozesse in der ersten Phase ihrer institutionellen Ausbildung: Die Verfahren gegen Peter Abaelard und Gilbert von Poitiers, in: Viator 6 (1975), pp. 86–116.

[37] Miethke, ebd., p. 93.

[38] In der sog. Schriftkritik in Platons Phaidros (274b – 279c) sieht Sokrates den zentralen Nachteil der medialen Schriftlichkeit gegenüber der medialen Mündlichkeit in der Unfähigkeit des geschriebenen Logos, „sich selbst zu Hilfe zu kommen“ und sich gegen Mißhandlungen und unrechtmäßige Angriffe zu verteidigen.

[39] Miethke, Theologenprozesse (s. o. Fn. 36), p. 101.

[40] Miethke, ebd., p. 106.

[41] Miethke, ebd.

[42] Eine kritische Edition und eine englische Übersetzung von Abaelards Soliloquium, das Migne noch bei Berengar (PL 178, coll. 1876C – 1880A) aufführt, hat Charles Burnett erstellt (Ch. Burnett, Peter Abelard ‚Soliloquium‘. A Critical Edition, in: Studi Medievali 25 (1984), pp. 857–894). Trotz der Kürze des Soliloquium – in der Edition von Burnett umfaßt die Schrift (inkl. kritischer Apparat) nur sieben Seiten lateinischen Text – lässt die formale Struktur des Textes und die Ausarbeitung der Gedanken darauf schließen, dass es sich um ein vollständiges Werk, zumindest aber um eine selbständige Einheit im Rahmen eines geplanten größeren Werkes handelt (vgl. Burnett, ebd., p. 873). – Betrachtet man das Soliloquium genauer, so wird deutlich, dass diese Schrift zwar als ein „Selbstgespräch“ tituliert ist, das „Abaelardus Petrus“ („A. P.“) mit „Petrus Abaelardus“ („P. A.“) führt. In dem Charakter der Sprechhandlungen von „A. P.“ und „P. A.“ ist dieser Umstand allerdings kaum bemerkbar. Wüßte man nicht schon durch den Titel, die Lemmata und die Kopfzeile, dass hier „derselbe mit demselben“ spricht, durch das vorgeführte Gesprächsgeschehen selbst wäre dieser Umstand nicht zu entdecken. „A. P.“ und „P. A.“ sprechen so miteinander, wie auch zwei individuell verschiedene Personen miteinander sprechen könnten. Diese Beobachtung ist nicht ohne Relevanz für die These, Abaelard habe sich der Dialogform bedient, um einer drohenden Verfolgung zu entgehen. Zwar besteht aus hermeneutischer Perspektive zwischen dem Autor Abaelard und einer Dialogfigur mit dem Namen „Abaelard“ dieselbe methodische Distanz wie zwischen dem Autor Abaelard und einer Dialogfigur anderen Namens, doch vor dem Hintergrund der herrschenden Verfolgungspraxis muss es fraglich erscheinen, warum Abaelard, wenn er sich durch die Dialogform den Verfolgern entziehen wollte, ein Gespräch als Selbstgespräch präsentiert, obgleich es die intendierte Gesprächshandlung nicht erfordert.

[43] Die Theologia Summi boni ist zwar nicht in Dialogform verfaßt worden, doch gewisse dialogische Züge des Textes sind durchaus aufzuzeigen. So findet sich im ersten Buch eine direkte Leseranrede, deren Stil einem Lehrer-Schüler-Gespräch sehr ähnelt (TSB I, c. 6, ll. 295–301: „Quod si post doctrinam philosophorum etiam vitam consideres tam eorum quam gentilium ceterorum, poteris ex ipsis verae religionis regulam colligere. Audi testimonium ... Mirare illius vitam, mirare patientiam ac reliquas virtutes.“). Durch dieses dialogische Element konstituiert Abaelard eine textuelle Leserfigur, die zwar nicht ausgeführt wird, selbst auch gar nicht zu Wort kommt und doch durch ihre Präsenz die erste Grundbedingung einer Interaktion im Gespräch erfüllt (vgl. in diesem Band im Beitrag von Ruedi Imbach u. Silvia Maspoli unten pp. 293–294 zu den direkten Leseranreden in Dantes Divina Commedia). Im zweiten Kapitel des dritten Buches setzt Abaelard sogar einen imaginären Gesprächspartner in Szene, der Einwände gegen Abaelards Ausführungen formuliert und mit Gegeneinwänden konfrontiert wird. Vergleicht man die Stellen TSB III, c. 2, ll. 26–29, ll. 308–318, ll. 509–516, ll. 538–543, ll. 551–563, ll. 599–614 und ll. 643–651, dann wird erkennbar, wie sich aus allgemein gehaltenen Vorbehalten im Stile von „jemand könnte gegen meine Ausführung nun den Einwand vorbringen, dass ...“ sukzessive das akzentuierte Bild eines bestimmten, individuierten Gegenspielers entwickelt, der immer deutlicher an Kontur gewinnt, persönlich spricht und persönlich angesprochen werden kann. Das Ende des rudimentären Disputes, der z. T. in direkter Rede gestaltet ist, markiert eine Art determinatio magistralis.

[44] So können auch die vorzüglichen Ausführungen des aristotelischen Organon zur Logik und Argumentationstheorie nicht das ersetzen, was die platonischen Dialoge im Sinne einer angewandten Logik und Argumentationspraxis präsentieren.

[45] Will man sich die provokative Kraft der philosophierenden Theologie Abaelards vergegenwärtigen, dann sollte man nicht nur an den Prolog von Sic et non und an die disputativen Züge der Theologia Summi boni, sondern auch an die mündliche Lehr- und Streittätigkeit Abaelards denken. Zwar wurden in Soissons und Sens die inhaltlichen errores Abaelards verurteilt, doch ging es seinen „antidialektischen“ Verfolgern wohl weniger um die Thesen, die Abaelard vertreten hatte, als vielmehr um die spezifische Art, wie Abaelard diese Thesen vertreten hatte.

[46] Vgl. von Moos, Abaelard: ‚Collationes‘ (s. o. Fn. 9), p. 132: „Die Personen führen keine ‚Totengespräche‘, sondern erscheinen in einer unspezifisch ‚traumhaften‘ Weise als räsonierende Zeitgenossen, die in ihren Ansichten einen jahrhundertealten Konflikt dreier Weltbilder verkörpern.“ – Vgl. die Ausführungen von Tilman Borsche in diesem Band über den verfremdenden Charakter der visio in Cusanus´ De pace fidei, unten pp. 425-429.

[47] Thomas, Der philosophisch-theologische Erkenntnisweg (s. o. Fn. 3), p. 22. Obgleich Rudolf Thomas damit den literarischen (in seinen Worten: imaginären) Charakter derjenigen Dialogfiguren anerkennt, die er nicht mit dem Verfasser identifiziert, beharrt er doch auf der Auffassung, dass die Dialogfiguren, die nach seinem Dafürhalten mit dem Autor gleichzusetzen sind (iudex, christianus), nicht als literarisch, sondern als „persönliche Rede“ des Verfassers begriffen werden müssen. Auf die Tatsache, dass nach seiner Deutung im Dialogus dann Gesprächspartner von grundsätzlich verschiedener Natur miteinander zu tun bekommen, macht Thomas zwar noch selbst aufmerksam, die Problemlage, die mit dieser Feststellung verbunden ist, wird allerdings nicht mehr berücksichtigt: „Es ist vergleichsweise beachtenswert, dass Abaelard [sc. in den überlieferten Dialogfragmenten] – wie im ‚Dialogus‘ – persönlich redet, ungeachtet dessen, ob das Gegenüber eine imaginäre Gestalt ist.“ (Thomas, ebd., p. 30).

[48] Dass sich der iudaeus im Rahmen der ersten collatio gegen seine exemplarische Funktion verwahren will (Dial., pp. 46–47, ll. 154–160), bedeutetet nicht, dass ihm diese Funktion nicht von der Gesprächskonzeption her zugedacht wird. Zwar weigert sich der iudaeus, mit seinen Argumentationen für alle Juden zu sprechen, damit im Falle seiner Niederlage nicht der gesamte jüdische Glaube desavouiert wird, doch hindert dies nicht, dass der iudaeus innerhalb der fingierten Gesprächshandlung trotz seiner Weigerung den jüdischen Glauben zu repräsentieren und gegen die Angriffe des philosophus zu verteidigen hat. – Die Fragen, ob auch der philosophus und der iudex exemplarische Funktion besitzen und welche Gruppen sie repräsentieren könnten, führen in gewisse Schwierigkeiten, auch wenn man im Falle des philosophus immerhin noch an arabische Religionsphilosophen denken könnte. Philosophus und iudex stehen m. E. exemplarisch für bestimmte Lebensformen, die sich in bestimmten Gesprächs- und Argumentationspraktiken manifestieren. Inwieweit diese Lebensformen auch soziohistorisch als gesellschaftlich relevante Kräfte nachweisbar sind, scheint mir in diesem Zusammenhang zweitrangig. Peter von Moos´ These, dass alle drei Kombattanten als „idealtypische (historisch nicht zu personalisierende) Gestalten“ (von Moos, Abaelard: ‚Collationes‘ (s. o. Fn. 9), p. 131) aufzufassen sind, stimme ich daher voll zu.

[49] Dial., p. 41, ll. 3–4.

[50] Dial., p. 41, l. 5: „Homines, inquiunt, sumus diversis fidei sectis innitentes.“ Übers. Krautz p. 9.

[51] Dial., p. 41, ll. 5–7: „Unius quippe Dei cultores esse nos omnes pariter profitemur diversa tamen fide et vita ipsi famulantes.“

[52] Doch zu Beginn dieser Passage formuliert Abaelard noch die Abbreviatur der antithetischen Darstellung dessen, was die Gesprächspartner trennt und verbindet: In der gemeinsamen Rede der drei Männer wird der philosophus als „unus ... nostrum gentilis“ (Dial., p. 41, l. 7) bezeichnet. Ich paraphrasiere: Der philosophus ist zwar „einer von uns“ (das Gemeinsame), aber zugleich ist „einer von uns ein Heide“ (das Trennende).

[53] Dial., p. 41, ll. 7–10.

[54] Vgl. Dial., p. 41, ll. 16–18 u. ö. – Wenn Abaelard den Heiden nicht als Atheisten, sondern als Monotheisten darstellt, der die Autorität der christlichen scriptura leugnet, so steht er mit Gilbert Crispins Zeichnung des Heiden in der Disputatio christiani cum gentili de fide Christi in Übereinstimmung, vielleicht auch in seiner Nachfolge. Vgl. dazu den Beitrag von Klaus Jacobi in diesem Band, oben pp. 125–137, hier pp. 132–137.

[55] Vgl. Dial., p. 42, ll. 25–27 u. ö.

[56] Die lex naturalis bezeichnet der philosophus auch als philosophia moralis (Dial., p. 41, ll. 19–20), als finis omnium disciplinarum (Dial., p. 41, ll. 20–21), als scientia morum (Dial., p. 44, l. 85) und als ethica (Dial., p. 44, l. 85). Diese Begriffe sind wohl synonym zu verstehen. Jedenfalls können dem Text keine genaueren Aussagen über das Verhältnis der Begriffe zueinander entnommen werden.

[57] Vgl. Dial., p. 53, ll. 332–335; p. 70, ll. 798–799. – Allerdings dürfen diese Inhalte nicht mit den Aussagen einer scriptura gleichgestellt werden, die noch auf ihre Übereinstimmung mit der ratio zu überprüfen ist. In den Augen des philosophus wird die Forderung nach Gottes- und Nächstenliebe – als genuiner Bestandteil der lex naturalis – bereits von der ratio als ratio bereitgestellt, muss demnach nicht auf ihre „Vernünftigkeit“ überprüft werden.

[58] Dial., p. 68, ll. 731–732: „... qui Ismahelem patrem vestrum imitantes ...“ – Zur Gleichsetzung der Ismaeliten mit den Arabern oder Sarazenen vgl. R. Southern, Das Islambild des Mittelalters, Stuttgart etc. 1981, insbes. pp. 18–20.

[59] Die Frage, warum Abaelard diese literarische Figur so gestaltet, wie er sie gestaltet, durch Spekulationen über mögliche biographische Erfahrungen des Autors mit zeitgenössischen arabischen Religionsphilosophen beantworten zu wollen, ist m. E. nicht sehr ergiebig. Hilfreich ist dagegen eine genauere Analyse des präsentierten Gesprächsgeschehens, das der ismaelitische Philosoph nicht etwa durch defensive, apologetische Bezugnahmen auf die Autorität des Koran, sondern durch seine prüfenden, die auctoritates scripturae grundsätzlich in Frage stellenden rationes, durch sein unbekümmertes, forsches und zuweilen auch aggressives Auftreten in signifikanter Weise mitbestimmt. Zur Darstellung des intendierten Gesprächsgeschehens braucht Abaelard eine Dialogfigur, die als Vertreterin der lex naturalis ihre kritische Kompetenz auf offensive Weise ins Spiel bringen kann, ohne sich auf die Inhalte irgendeiner scriptura festlegen zu müssen.

[60] Wie diese Rückwirkung genau aussieht, kann erst der prüfende Blick auf die jeweilige scriptura zeigen. Ein breites Spektrum von „Rückwirkungen“ ist möglich: Die scriptura kann die lex naturalis der Kritik unterziehen und außer Kraft setzen, sie kann sich selbst der lex naturalis überordnen und damit, obgleich die Geltung der lex naturalis bewahrt bleibt, doch ihre Autonomie verletzen, die scriptura kann sich selbst aber auch als eine bloße Ergänzung, als eine Konkretisierung, als eine Pädagogisierung o. ä. der lex naturalis verstehen. Trotz der zahlreichen, höchst unterschiedlichen Relationen, die zwischen einer scriptura und der lex naturalis möglich sind, scheint eines festzustehen: Völlig indifferent gegenüber dem Verständnis der lex naturalis kann weder die scriptura des iudaeus noch die scriptura des christianus sein. Sobald die lex naturalis in irgendein Verhältnis zu einer scriptura tritt, ist sie auch schon nicht mehr dieselbe, sondern wird – als Relatum – geprägt durch die Beziehung, die sie eingeht.

[61] Vgl. Dial., p. 42, ll. 25–27. – Während Abaelards philosophus allein die lex naturalis als Prüfinstanz anerkennt, fungiert in der Disputatio judaei et christiani des Gilbert Crispin, deren Figurenkonstellation keinen Philosophen als Advokaten einer „reinen“ lex naturalis einschließt, neben der Vernunft auch die von Christ und Jude gemeinsam anerkannte Schrift als Kriterium für die Prüfung von Sätzen. Vgl. den Beitrag von Klaus Jacobi in diesem Band, oben pp. 128–129.

[62] Vgl. Dial., p. 48, ll. 189–190. – Treffen die Worte des iudaeus zu, dann hängt alles an der Frage, wer die Beweislast hat: muss der iudaeus rationes für seinen Glauben oder der philosophus rationes gegen den Glauben ins Feld führen? Beide Unternehmungen wären in den Augen des iudaeus notwendig zum Scheitern verurteilt.

[63] Herrschen in der ersten collatio inhaltliche und methodische Differenzen vor – die Frage, was als gutes Argument gilt und was nicht, ist noch keineswegs gelöst –, so gelangen die Kombattanten in der zweiten collatio sukzessive zu einem größeren Einverständnis in inhaltlichen Punkten und – noch wichtiger – in Hinblick auf die gemeinsam praktizierte Methode der Gesprächs- und Argumentationsführung. Dies darf allerdings nicht darüber hinweg täuschen, dass auch am Ende des Gespräches Differenzen bestehen bleiben. Anders gewendet: Die für jedes Gespräch notwendige Asymmetrie der Kolloquenten bleibt bewahrt, die schlechte Utopie des Homonoetischen wird vermieden.

[64] Wenn Lothar Steiger gegen Rudolf Thomas anmerkt, dass „der gemeinsame Gottesglaube, den die drei [sc. Kombattanten] erfahren haben, ... eben doch kein abstrakter Minimalkonsens [vgl. Thomas, Der philosophisch-theologische Erkenntnisweg (s. o. Fn. 3), p. 35], sondern im Sinne von Röm. 3, 29 und 10, 12 eschatologisch bedingt [ist]“ (Steiger, Hermeneutische Erwägungen (s. o. Fn. 19), p. 258), dann zeigt sich die Unterschiedlichkeit der oben herausgestellten Lesarten besonders deutlich: Während Thomas Lesart (2) bevorzugt, entscheidet sich Steiger für Lesart (1).

[65] An dieser Stelle muss jede Interpretation, die im Text einen kohärenten Handlungszusammenhang nachzuvollziehen versucht, auf Schwierigkeiten stoßen: Einerseits kommen die drei Männer auf bislang getrennt verlaufenden Wegen zusammen, andererseits berichten sie von bereits gemeinsam geführten Gesprächen. Wie paßt beides zusammen? Offensichtlich liegt Abaelard weniger daran, eine „realistische“ Geschichte vorzuführen. Die Spannung zwischen den getrennten Wegen und den gemeinsamen Gesprächen scheint Abaelard gerne in Kauf zu nehmen, da gerade durch diese Spannung die Signalfunktion der beiden Elemente deutlich wird: Während die Unterschiedlichkeit der Wege für die Unterschiedlichkeit der professiones steht, verweist die kommunikative Vorgeschichte des aktuellen Gespräches nicht nur auf die Gemeinsamkeit der intentiones, sondern auch auf die Besonderheit des aktuellen Gespräches, das als einziges unter der Aufsicht eines iudex steht.

[66] Dial., p. 41, ll. 10–11: „Diu autem de diversis fidei nostre sectis invicem conferentes atque contendentes tuo tandem iudicio cessimus.“ Vgl. die Worte des philosophus (Dial., p. 42, ll. 30–32): „Contuli diu cum utrisque, et nostre collationis altercatione nondum finem adepta partium suarum rationes tuo committere decrevimus arbitrio.“

[67] Diese Auffassung des Gesprächs als ausgezeichneter Form der Wahrheitssuche wird von Augustinus in den Soliloquia proklamiert (II, 14): „Cum enim neque melius quaeri veritas possit quam interrogando et respondendo ...“ (Zitiert nach: Aurelius Augustinus, Selbstgespräche. Von der Unsterblichkeit der Seele, lat.-dt., lat. hrsg. von H. Fuchs, dt. übers. u. hrsg. von H. Müller, München – Zürich 1986, p. 100, ll. 21–23.) Anselm von Canterbury spricht dagegen dem Gespräch sein erkenntnistheoretisches Privileg ab: Zwar leuchte das, was mittels Frage und Antwort erforscht werde, vielen besser ein und sei ansprechender. Doch gelte dies namentlich für die langsameren Geister – Cur deus homo I, 1: „Et quoniam ea quae per interrogationem et responsionem investigantur, multis et maxime tardioribus ingeniis magis patent et ideo plus placent ...“ (Zitiert nach: Anselm von Canterbury, Cur deus homo – Warum Gott Mensch geworden, lat.-dt., hrsg. u. übers. von F. S. Schmitt, Darmstadt 51993, p. 10, ll. 23–25.) Die mündliche Form des Gesprächs und – damit verbunden – die literarische Form des Dialogs werden zu didaktischen Hilfsmitteln reduziert, die nur brauchbar sind zur Belehrung der „Vielen“. Wer einen raschen und aufnahmefähigen Geist besitzt, scheint Gespräch und Dialog nicht nötig zu haben.

[68] Vgl. Dial., p. 47, ll. 161–166; p. 107, ll. 1754–56 u. ö.

[69] Dial., p. 91, l. 1334.

[70] Von dieser (sicherlich verkürzten) Darstellung einiger gesprächstheoretischer Aussagen des platonischen Sokrates ist Platons eigene literarische Technik der Dialoggestaltung zu unterscheiden. Die Gespräche, die Platon in Szene setzt, sind keineswegs so einfach unter die von Sokrates entworfenen Idealtypen zu subsumieren. In den Gesprächshandlungen sind häufig sowohl Züge einer eristischen Gesprächspraxis (nicht nur der vorgeführten Sophisten, sondern auch des Sokrates) als auch das ernste Bestreben aufweisbar, eine nicht schon vor dem Gespräch gewußte Wahrheit durch die im Gespräch freizusetzenden Denkleistungen zu gewinnen. Damit sprengt die von Platon künstlerisch entworfene Gesprächspraxis die rigiden, idealtypischen Vorgaben, die in den gesprächstheoretischen Überlegungen des Sokrates zur Sprache kommen.

[71] Dial., p. 107, ll. 1754–1756: „Quem etiam male dicta corrigere licet, cum ad inquisitionem veri, non ad ostentationem ingenii, sicut dictum est, conferamus.“ Die Übers. von Krautz p. 147 wurde hier modifiziert.

[72] Vgl. Dial., p. 43, ll. 64–68.

[73] Vgl. im Text die Gegenüberstellung von der Erforschung der Wahrheit durch rationes einerseits und den „Meinungen der Menschen“ andererseits (Dial., p. 41, ll. 16–17; p. 44, ll. 92–95 u. ö.).

[74] Vgl. Dial., p. 42, ll. 37–38: „Aliquem nobis iudicem oportebat eligere, ut altercatio nostra finem acciperet.“

[75] Dial., p. 41, l. 12: „Ego super hoc itaque vehementer ammirans ...“

[76] Dial., p. 43, ll. 53–55: „Tum ego: non ambio, inquam, huius honoris gratiam, quam mihi reservastis, ut sapientibus scilicet omissis stultum pro iudice statueretis.“

[77] Vgl. Dial., p. 42, ll. 37–38 (s. o. Fn. 74).

[78] Dial., p. 42, ll. 33–34: „Te quippe nec phylosoficarum rationum vires nec utriusque legis munimenta latere novimus.“ Übers. Krautz p. 11.

[79] Vgl. Dial., p. 42, ll. 42–47: „Quanto igitur ingenii te acumine et quarumlibet scientia scripturarum fama est preminere, tanto te amplius in hoc iudicio favendo sive defendendo constat valere et cuiuscumque nostrum rebellioni satisfacere posse. Quod vero ingenii tui sit acumen, quantum philosophicis et divinis sententiis memorie tue thesaurus abundet ...“ Übers. Krautz p. 11.

[80] Dial., p. 42, ll. 38–39: „Nec quemquam nisi in aliqua trium harum sectarum reperire potuimus.“

[81] Dial., p. 43, ll. 67–68: „... presertim cum ex his aliquam percipere me credam doctrinam.“ – Wenn Abaelards iudex explizit auf jede Lehrautorität verzichtet, um dem Streitgespräch als aufmerksamer Zuhörer beiwohnen zu können, sieht man sich erinnert an die Haltung Anselms, der in Cur deus homo ebenfalls die angetragene Lehrautorität zugunsten eines eigenen Lernprozesses von sich weist: „... quod quaeritis non tam ostendere quam tecum quaerere“ (I, 2, hrsg. von Schmitt (s. o. Fn. 67), p. 14). Doch während sich der iudex Abaelards im Gesprächsverlauf in der Tat mit eigenen Bemerkungen zurückhalten wird, nimmt die Dialogfigur Anselm entgegen der eigenen Beteuerung, gemeinsam mit Boso lernen zu wollen, im Gesprächsgeschehen doch die Rolle des lehrenden und belehrenden Magisters ein, dessen Worte den lernbegierigen Schüler zufriedenstellen.

[82] Dial., p. 44, ll. 74–75: „ ‚Audiens sapiens sapientior erit; intelligens gubernacula possidebit.‘ “ Übers. Krautz p. 15.

[83] Dial., p. 44, ll. 77–78: „ ‚Sit‘, inquit, ‚omnis homo velox ad audiendum, tardus autem ad loquendum.‘ “ Übers. Krautz p. 15.

[84] Vgl. Thomas, Der philosophisch-theologische Erkenntnisweg (s. o. Fn. 3), p. 22: „Jedoch ist zu beachten, dass nicht die Determinatio eines Magisters, sondern eines Judex erwartet wird; vergleichbar einem Schiedsrichter, der selbst nicht Kämpfer auf dem dialogischen Schauplatz ist, sondern der die Einhaltung der Spielregeln Überwachende ist.“

[85] Hier wird die methodische Unterscheidung zwischen der Autorintention und der Absicht des Erzählers für die inhaltliche Auslegung bedeutsam: Während der Autor Abaelard wohl schon vor der Niederschrift des Dialogus weiß, welche Argumentationen er den Dialogfiguren in den Mund legen wird, besitzt der Erzähler zu Beginn des Gesprächs noch nicht die Kenntnis der folgenden Argumentationen, die zu hören er sich freut. Die Möglichkeit, dass der Autor selbst erst bei der Niederschrift des Dialogus durch die klärende Kraft des Schreibens zu Präzisierungen der Argumentationen gefunden, vielleicht auch einige der Argumente ganz neu entdeckt hat („epistemisches Schreiben“), soll damit nicht bestritten werden. Entscheidend ist, dass die Position des Autors, ehe er das Gespräch literarisch gestaltet, von der Position des Erzählers, ehe er im Rahmen der poetischen Fiktion das Gespräch erfährt, gänzlich verschieden ist.

[86] Dass zwischen dem iudex-Verständnis der Kombattanten und dem der Dialogfigur Abaelard durchaus Differenzen bestehen können, zeigen die oben ausgeführten methodologischen Überlegungen, die davor warnen, die Intention des Autors und die Intentionen der verschiedenen dramatis personae zu vermischen oder zu vereinheitlichen. Das Selbstverständnis des iudex ist im übrigen nicht nur für Abaelards Konzeption eines wahrheitssuchenden Streitgesprächs, sondern auch für die vom Text provozierte Rezeptionshaltung der Leser von entscheidender Bedeutung. Zu Recht hat Peter von Moos darauf hingewiesen, dass Abaelard als Gesprächsteilnehmer zugleich den „Modell-Leser dar[stellt], der implizit empfiehlt, dieses offene Werk ‚hörend, nicht urteilend‘ aufzunehmen.“ (P. von Moos, Abaelard, in: K. Flasch / U. R. Jeck (Hrsg.), Das Licht der Vernunft. Die Anfänge der Aufklärung im Mittelalter, München 1997, pp. 36–45, hier p. 41. Vgl. von Moos, Abaelard: ‚Collationes‘ (s. o. Fn. 9), pp.131–132).

[87] Dial., p. 43, ll. 64–68: „Quia tamen hoc ex condicto et pari statuistis consensu et de viribus vestris singulos vestrum confidere video, nequaquam ausibus vestris nostra erubescentia inferet repulsam, presertim cum ex his aliquam percipere me credam doctrinam.“

[88] Vgl. Dial., pp. 84–85, ll. 1162–1171.

[89] Durch Peter von Moos´ These vom iudex als Modell-Leser wird deutlich, dass die kritische Aufmerksamkeit des iudex, der die Korrektheit der vorgetragenen Argumentationen genau zu prüfen hat, nicht nur konstitutiv ist für das Gelingen der gemeinsamen Wahrheitsbemühung, sondern zudem Vorbildcharakter für die Rezeptionshaltung des Lesers hat. Dies heißt insbesondere, dass sich der Text intensiv um eine argumentationstheoretische Sensibilisierung des Rezipienten bemüht: Wie Amt und Selbstverständnis des iudex betonen, verdienen nicht allein die im Gespräch diskutierten Inhalte Beachtung; die Art, wie diskutiert wird, ist ebenso wert, berücksichtigt zu werden. Dabei ist durch die literarische Form des Textes, der Argumentationstechnik in praxi vorführt, garantiert, dass Argumentationen in ihrer (literarisch inszenierten) pragmatischen Kontextualität betrachtet werden. Eine dekontextualisierte Argumentationstheorie, die nicht auf den Rezipientenbezug von Argumentationen reflektiert, scheint bei dieser Präsentation gar nicht erst aufkommen zu können, meint Argumentationsführung hier doch notwendig auch Gesprächsführung. Der Dialogus präsentiert Argumentationen stets als adressierte Argumentationen, die in ganz bestimmten pragmatischen Gesprächskonstellationen ihren Ort haben.

[90] Dial., p. 43, ll. 59–62: „Tibi quippe ad pugnam duo sunt gladii, alii vero uno tantum in te armantur. Tu in illos tam scripto quam ratione agere potes; illi vero tibi, quia legem non sequeris, de lege nichil obicere possunt.“

[91] Dial., p. 43, ll. 62–64: „... et tanto etiam minus in te rationibus possunt, quanto tu amplius rationibus assuetus philosophicam uberiorem habes armaturam.“

[92] Vgl. Dial., p. 43, ll. 64–68.

[93] Dial., p. 44, ll. 92–95: „Tum ille: unum, inquit, primo vos simul interrogo, quod ad vos pariter attinere video, qui maxime scripto nitimini, utrum videlicet in has fidei sectas ratio vos induxerit aliqua, an solam hic hominum opinionem ac generis vestri sectemini amorem?“

[94] Dial., p. 44–46, ll. 80–144.

[95] Dial., p. 44, l. 80: „PHILOSOPHUS: ‚Meum est ... primum ceteros interrogare ...‘ “

[96] So Krautz, in: Peter Abailard, Collationes (s. o. Fn. 1), p. 352.

[97] Dial., p. 46, ll. 145–147: „IUDEUS: ‚Duos quidem simul interrogasti, sed duos simul respondere non convenit, ne multitudo loquentium prepediat intellectum.‘ “ Übers. Krautz p. 21.

[98] Steiger, Hermeneutische Erwägungen (s. o. Fn. 19), p. 253. Vgl. die Worte des iudaeus über den christianus (Dial., p. 46, ll. 151–152): „Qui quasi duo cornua in duobus gerens testamentis, quibus armatus validius hosti resistere poterit et dimicare.“

[99] Allerdings ist es im Rahmen der vorgeführten argumentationstheoretischen Überlegungen durchaus sinnvoll, dass der iudaeus und der christianus ihre scripturae in bestimmten Gesprächssituationen defensiv, gleichsam als „Schilde“, einsetzen: Greift der philosophus eine scriptura etwa mit Inkonsistenzvorwürfen an, so ist es ihrem Advokaten selbstverständlich gestattet, nun seinerseits auf die scriptura einzugehen, um überzeugend für ihre Konsistenz plädieren zu können.

[100] Dial., p. 97, ll. 1490–1495: „Tecum vero tanto minus ex auctoritate agendum est, quanto amplius rationi inniteris et Scripture auctoritatem minus agnoscis. Nemo quippe argui nisi ex concessis potest, nec nisi per ea, que recipit, convincendus est, et aliter tecum, aliter nobiscum ad invicem confligendum est.“ Übers. Krautz p. 125.

[101] Dial., p. 103, ll. 1644–1646: „Certe, ut verum fatear, nunc te primum phylosophum comperior, nec tam manifeste rationi inpudenter convenit adversari.“ Übers. Krautz p. 137. Vgl. Dial., p. 89, l. 1270: Der philosophus stimmt dem christianus zu wegen der „Klarheit“ seiner Argumentation. – Wie Abaelard die philosophische Kompetenz des christianus im Laufe des Gespräches immer eindrucksvoller zur Ausführung bringt, hat Klaus Jacobi in den Argumentationspassagen der zweiten collatio detailliert aufgezeigt. Dabei wird deutlich, dass der christianus, der sich auf die Finessen logischer Unterscheidungskunst versteht, nicht nur selbst logisch analysierend und sprachphilosophisch reflektierend zu argumentieren vermag, sondern auch über die Einhaltung philosophischer Argumentationsregeln wacht und sich gar in der Lage zeigt, für Abaelards eigene Intentionsethik charakteristische Thesen zu artikulieren. „Das ist Abaelards geschickte Regie: Der Sprecher, den er als Christen einführt, erweist sich als ein philosophierender Christ. Man könnte auch sagen: Er erweist sich als Theologe, so wie Abaelard Theologie versteht.“ Vgl. den noch unveröffentlichten Vortrag von K. Jacobi, Die ‚collatio‘ zwischen ‚Philosophus‘ und ‚Christianus‘, der 1997 auf einem Symposion zu Ehren von L. M. de Rijk in Amsterdam gehalten worden ist.

[102] Vgl. J. Gauss, Das Religionsgespräch von Abaelard, in: Theologische Zeitschrift 27 (1971), pp. 30–36, hier p. 30.

[103] Vgl. Krautz, in: Peter Abailard, Collationes (s. o. Fn. 1), p. 348: „Der Philosoph sollte durch seine Gesprächsführung eine direkte Auseinandersetzung zwischen dem Juden und dem Christen verhindern und einen in Abailards Augen sinnlosen Streit zwischen den aufeinander angewiesenen Glaubensbrüdern über den Vorrang des Alten oder des Neuen Bundes oder über die Erfüllung der Messiasverheißungen anhand des wohlvertrauten Zitatenschatzes aus den angestaubten Fundus christlich-jüdischer Polemik von vorneherein ausschließen.“ Allerdings darf nicht übersehen werden, dass in der ersten collatio deutliche Kritik am Gesetzesglauben, an der Werkgerechtigkeit und v. a. am Exklusivitätsanspruch der jüdischen Religion geübt wird. Nur weil iudaeus und christianus als Vertreter von scripturae gemeinsam gegen den philosophus stehen, werden die Unterschiede in ihren spezifischen theologischen Auffassungen (gerade auch hinsichtlich des scriptura-Verständnisses) ja nicht aus der Welt geschafft. Vgl. dazu Hans Liebeschütz, der die Nähe von philosophus und christianus, sowie ihre Distanz zum iudaeus betont: „Wir können also sagen, der Sinn des Dialogs liegt in dem Nachweis, dass die christliche Religion die Daseinsziele des Menschen, wie sie auch die Philosophie lehrt, am folgerichtigsten entwickelt hat. Das Judentum hat bei Abaelard seinen Platz als die vorphilosophische Religion der Satzung, die jener Übereinstimmung von Christentum und Philosophie gewissermaßen als Folie zu dienen hat.“ (Liebeschütz, Die Stellung des Judentums (s. o. Fn. 19), p. 398).

[104] Peter Abelard, Letters IX–XIV. An edition with an introduction, hrsg. von E. R. Smits, Groningen 1983, pp. 271–277.

[105] Ebd., pp. 271–272, Epist. XIII, ll. 14–44.

[106] Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich der Sachverhalt jedoch als etwas verwickelter: In jedem Zugriff auf die scriptura hat, wie der Autor von Sic et non genau weiß, Interpretation statt. Will die Interpretation als Interpretation verantwortet sein, ist ein zweiter Rekurs auf die scriptura ausgeschlossen, dafür kommen notwendig rationes ins Spiel. Die Distinktion zwischen Argumentationen, die auf der scriptura beruhen, und Argumentationen, die auf der dialektischen ratio beruhen, ist nicht so trennscharf, wie es zunächst den Anschein hat. Immer wenn Argumentationen auctoritates zum Einsatz bringen, handelt es sich bereits um gedeutete, um interpretierte auctoritates, die ohne jede Aktualisierung der ratio gar nicht zu haben wären. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen gewinnt Abaelards Apologie der Dialektik im 13. Brief merklich an Schärfe: Streitet er den „Anti-Dialektikern“ den Besitz dialektischer rationes ab, so nimmt er ihnen zugleich auch das, was er ihnen oberflächlich besehen als genuines Eigentum gerade zuschreibt: die auctoritates, die scriptura. Abaelards erste Kernaussage im 13. Brief, dass allein die Christen die wahren Philosophen sind (Epist. XIII, hrsg. von Smits (s. o. Fn. 104), pp. 274–275, ll. 84–128; vgl. Dial., p. 92, ll. 1363–1368; p. 103, ll. 1644–1647), ist daher zu ergänzen um die zweite zentrale Behauptung, dass auch nur ein Philosoph ein wahrer Christ sein kann. Wer sich im Besitz der scriptura wähnt, zugleich aber in „antidialektischer“ Manier die zur Auslegung der scriptura unentbehrlichen rationes diskriminiert, hat damit auch bereits die christliche scriptura verspielt.

[107] Vgl. Lothar Steigers treffende Bemerkung zur gesprächsstrategischen Funktion des iudex: „Obwohl Abaelard nicht äußerlich eingreift und auch am Ende des ersten Durchgangs zwischen Philosophus und Judaeus in der Rolle des weiter nur Zuhörenden verharrt, führt er doch durch seine Anwesenheit innerlich das Gespräch, hält es mindestens durch Urteilsenthaltung offen.“ (Steiger, Hermeneutische Erwägungen (s. o. Fn. 19), p. 249). Die herrschende Forschungsmeinung vertritt jedoch Julie Allen, wenn sie von der „minimal role played by the ‚Judge‘ “ spricht (Allen, On the Dating (s. o. Fn. 4), p. 141).

[108] Vgl. Dial., p. 62, ll. 566–568: „IUDEUS: ‚Multa continue obiecisti, que non est facile recordari, ut singulis ordine respondeam. Prout tamen mihi occurrerint, respondere conabor.‘ “

[109] Der iudaeus macht zwar gewisse Zugeständnisse, beharrt aber auf dem Exklusivitätsanspruch der jüdischen Religion, so dass ein zentrales Problem ungelöst bleibt.

[110] Vgl. von Moos, Abaelard: ‚Collationes‘ (s. o. Fn. 9), p. 134: Die drei Kombattanten sind „Chiffren für drei Methoden, das ‚höchste Gut‘ zu verstehen und die Glückseligkeit zu erlangen. Diese ‚Wege‘ verhalten sich zueinander wie These, Antithese und Synthese: die ausschließliche Bindung an auctoritas (das jüdische Gesetz), die philosophische Beschränkung allein auf ratio und lex naturalis und die christliche Versöhnung beider Extreme in einem durch Vernunftgründe abgesicherten und vertieften Glauben.“ – Die methodische Uneinigkeit, die zwischen dem philosophus und dem iudaeus herrscht, zeigt sich vornehmlich in ihren interpretationstheoretischen Einstellungen: Beide werfen sich gegenseitig vor, die scriptura auf falsche Weise auszulegen, dabei machen sowohl der iudaeus als auch der philosophus Gebrauch von Überlegungen, die in ähnlicher Form auch im Prolog von Sic et non zu finden sind. Macht der iudaeus dem philosophus den Vorwurf, er zitiere selektiv und mißachte den Kontext (Dial., p. 64, ll. 625–629), so erwidert der philosophus, der iudaeus berücksichtige nicht die besondere Weise, wie Begriffe im zitierten Text zu verstehen gegeben sind (Dial., p. 78, ll. 996–998). In der zweiten collatio wird der christianus den philosophus über die christliche Methode der Schriftauslegung – in Abgrenzung gegenüber der jüdischen – belehren (vgl. insbes. Dial., p. 146, ll. 2792–2795; p. 152, ll. 2934–2947; p. 154, ll. 2991–2995). dass sich im Rahmen der zweiten collatio eine sukzessive methodische Annäherung der Kolloquenten vollzieht, die nicht zuletzt mit den vergleichbaren interpretationstheoretischen Tendenzen des christianus und des philosophus zusammenhängt, hat Klaus Jacobi, Die ‚collatio‘ (s. o. Fn. 101) im einzelnen nachgewiesen.

[111] Vgl. Dial., pp. 73–74, ll. 878–882; p. 78, ll. 998–1003. – Daher kann die Aussage des iudex am Ende der ersten collatio, das bisherige Gespräch habe sein Wahrheitsverlangen noch nicht stillen können (Dial., pp. 84–85, ll. 1165–1170), auch als Kritik an der bislang herrschenden Gesprächsmethode verstanden werden: Wer so makrologisch und aggressiv verfährt wie philosophus und iudaeus, trägt kaum zur wechselseitigen Verständigung und Wahrheitsvergewisserung bei.

[112] Dial., p. 85, ll. 1172–1174: „Te nunc igitur, Xpistiane, alloquor, ut et tu inquisitioni mee secundum propositi nostri conditionem respondeas.“

[113] Dial., p. 42, l. 29: „Comperi Iudeos stultos, Xpistianos insanos ...“

[114] Dial., p. 85, ll. 1182–1187: „Miror te ab his, que in exordio professus es, ita inpudenter dissonare. Cum enim premisisses te inquisitionibus tuis reperisse Iudeos stultos, Xpistianos insanos, postmodum dixeris te non ad concertationem contendere, sed ad inquirendam veritatem conferre, qua ratione nunc ab his, quos etiam insanos reperisti, tandem veritatis doctrinam expectes?“ (Die Zeichensetzung wurde vom Verfasser geändert.)

[115] Dial., p. 86, ll. 1199–1202: „Nonnunquam conviciis et inproperiis facilius homines provocantur, quam supplicationibus et obsecrationibus flectuntur; et qui sic provocantur, studiosius satagunt de pugna, quam qui orantur, moventur ex gratia.“ Übers. Krautz p. 101.

[116] Vgl. die Ausführung des philosophus in Dial., p. 117, ll. 2025–2030: „Veluti operum nostrorum actiones, cum in se sint indifferentes, ex intentione tamen, ex qua procedunt, bone dicuntur aut male. Unde et sepe, cum idem a diversis agitur vel ab eodem in diversis temporibus, pro diversitate tamen intentionum idem opus bonum dicitur atque malum.“

[117] Dial., p. 86, l. 1203: „Ignoscendum tibi est, si hac intentione id egisti.“ Die Übers. von Krautz p. 101 wurde hier leicht modifiziert.

[118] Damit wird durch die performativen Aspekte der vorgeführten Gesprächshandlung eine Problematisierung der Intentionsethik erzielt, die in den Gesprächsbeiträgen der Kolloquenten – ohne diese Problematisierung – debattiert wird. Ob der Autor Abaelard diese Problematisierung intendiert hat, ist für die Interpretation unerheblich. Der Dialog ist hier als ein Problemgenerierungsmedium zu verstehen, das mehr zu verstehen geben kann, als der Autor zu verstehen geben wollte.

[119] Dial., p. 90, ll. 1314–1317: „Iudei quippe tantum, quod animales sunt ac sensuales, nulla inbuti philosophia, qua rationes discutere queant, solis exteriorum operum miraculis moventur ad fidem; quasi hec facere solius Dei sit et nulla in eis demonum illusio fieri possit.“ Vgl. Dial., p. 95, ll. 1441–1443.

[120] Eine interessante Umkehrung erfährt der Angriff des philosophus durch die dramaturgische Konstellation des Gesprächs: In der ersten collatio hat der iudaeus bereits unter Beweis gestellt, dass er sehr wohl mit rationes zu operieren weiß. Zwar hat sich der philosophus in dieser ersten Phase des Gesprächs überlegen zeigen können, dies heißt aber nicht, dass der iudaeus über keine rationes verfügt, sondern nur, dass der philosophus hier besser argumentieren konnte als der iudaeus, der damit aber gerade auch argumentiert hat. Kurz: Die Polemik des philosophus, die den Juden jegliche rationes aberkennt, wird schon durch die literarische Gestaltung des Gesprächs, nach der dem iudaeus philosophische Qualitäten ausdrücklich bescheinigt werden, ad absurdum geführt. Dadurch entwickelt die antijüdische Polemik des philosophus eine performative Kraft, die sich – diametral zu ihrem propositionalen Gehalt – gerade nicht gegen den iudaeus, sondern gegen den philosophus richtet: Wer einem Kolloquenten, der sich bereits als geeigneter Mitunterredner erwiesen hat, diese Befähigung streitig machen will, zeigt durch diese Diskriminierung, dass es ihm selbst an der erforderlichen kommunikativen Kompetenz mangelt.

[121] Dial., p. 91, ll. 1335–1340: „Immo post tantorum conversionem philosophorum nec tibi nec posteris de fide nostra ambigere licet, nec iam tali conflictu opus esse videtur. Cur enim in secularibus disciplinis eorum omnia credatis auctoritati et non eorum exemplis ad fidem moveamini dicentes cum Propheta: ‚Neque meliores sumus quam patres nostri.‘?“ (Die Zeichensetzung – und entsprechend auch die Übers. von Krautz p. 101 – wurde vom Verfasser geändert.)

[122] Dial., pp. 91–92, ll. 1341–1362.

[123] Dial., pp. 105–106, ll. 1699–1720.

[124] Der philosophus verkehrt hier die aristotelische Überlegung aus dem ersten Buch der Nikomachischen Ethik (1095a), dass in bezug auf das Glück nur nominell Einigkeit bestehe: „Nehmen wir jetzt wieder unser Thema auf und geben wir, da alles Wissen und Wollen nach einem Gute zielt, an, welches man als das Zielgut der Staatskunst bezeichnen muss, und welches im Gebiete des Handelns das höchste Gut ist. Im Namen stimmen hier wohl die meisten überein. Glückseligkeit nennen es die Menge und die feineren Köpfe ... Was aber die Glückseligkeit sein soll, darüber entzweit man sich, und die Menge erklärt sie ganz anders als die Weisen.“ Zitiert nach: Aristoteles, Nikomachische Ethik, auf der Grundlage der Übers. von E. Rolfes, hrsg. von G. Bien, Hamburg, 4. durchges. Aufl. 1985, p. 4, ll. 6–11 (Philosophische Bibliothek, Bd. 5).

[125] Dial., p. 106, ll. 1721–1723: „Immo longe, quantum percipio, nostra in hoc et vestra intentio quam merita sunt diversa, et de ipso quoque summo bono non modice dissentimus.“ Die Übers. von Krautz p. 145 wurde hier leicht modifiziert.

[126] Dial., p. 164, l. 3247; pp. 165–166, ll. 3278–3301; p. 167, ll. 3334–3336 u. ö.

[127] Dass auch der iudaeus ein anderes Verständnis des iudex-Amtes gewonnen hat, kann zwar nur vermutet werden, da ihn Abaelard nach der ersten collatio nicht mehr zu Wort kommen lässt. Doch fehlt jeder Hinweis darauf, dass der iudaeus im Gegensatz zu dem christianus und dem philosophus weiterhin auf einem abschließenden iudicium beharren würde.

[128] In Dialogen, die ausschließlich Sprechhandlungen zur Darstellung bringen, steht die Gesprächsführung eines Kolloquenten nicht selten exemplarisch für seine gesamte Lebensführung. Die lebenspraktische Dimension von Abaelards Dialogus lässt sich damit pointiert formulieren: Lernen die Kombattanten, wie miteinander zu reden ist, dann auch, wie miteinander zu leben ist.


[Zurück zur letzten Seite] [Zum Seitenanfang]