Epistola Fulconis prioris de Diogilo - Trostbrief des Priors Fulko von Deuil an Peter Abaelard

Dieser Brief des Priors von Deuil, Fulko, wurde an Abaelard kurz nach dessen Kastration im Jahre 1117 oder 1118 gerichtet. Sein Inhalt wird von den meisten Autoren als zweischneidig empfunden. Eine ausführliche Wertung des Briefes findet sich unter Zeitzeugen: Fulko von Deuil. Der Brief ist abgedruckt in Mignes Patrologia Latina, Band 178; eine dort indizierte Stelle wurde aus Charlotte Charriers Heloïsa-Biographie ergänzt.

 

Epistola Fulconis prioris de Diogilo ad Petrum Abaelardum

 

Brief des Priors Fulko von Deuil an Petrus Abaelardus

 

Petro, Deo gratias, cucullato, frater Fulco, vitae consolationem praesentis et futurae. Dem Peter, der jetzt Gott sei Dank die Kutte trägt, sein Bruder Fulko: Trost für das gegenwärtige und zukünftige Leben!
Saecularis vitae pericula qui sine periculo se putat evadere, non minus mihi desipere videtur, quam, si cum insipiens, quispiam se existimat sapientem. Quanto utique involvatur errore stultitiae non opus est me monstrare, cum luce clarius pateat sapienti. Fortuna reguntur, qui diutius sibi permanere in hujus felicitatis mutabilitate promittunt. Quam sit contrarium rationi hoc opinari, monstrat sui mutatione infida felicitas. Non est humanum, stabilitate durare. Et licet res humanae quotidie in deteriora labantur, ei felicitatis jucunda vanitas frequenter feriatur contrariis: homines tamen miseri hujus temporis familiares et amicissimi finem rerum attendere negligunt, et quam multis subjaceant periculis, quantulacunque deliniti prosperitate oculo providentiae metiuntur. Sed cum ferit adversitas, aut in desperationem praecipitat, aut ad fructum animadversionis elevat; attamen demum quod homines sint agnoscunt. Desperatis et impoenitentibus neque in hoc saeculo, neque in futuro remissionis venia relinquitur ulla: Wer glaubt, den Gefahren des weltlichen Lebens problemlos zu entrinnen, scheint mir nicht weniger töricht, als der Dumme, der sich für weise hält. Gewiss muss ich nicht aufzeigen, in welch großen Irrtum die Torheit verwickelt wird, dem Weisen ist dies sonnenklar. Das Schicksal nimmt schon diejenigen mit, die sich versprechen, angesichts der Wandelbarkeit dieses Glückes länger zu verharren. Wie sehr dies der Vernunft widerspricht, zeigt das äußere Glück, das sich selbst durch Veränderung untreu ist. Dauernde Stabilität entspricht nicht dem Menschen. Freilich kann die menschliche Lage sich täglich verschlechtern, und die angenehme Eitelkeit des Glücks erzeugt dem Menschen häufig ein Umschlagen ins Gegenteil. Dennoch lassen die unglücklichen Menschen, dieser Zeit vertraut und ihr äußerst zugetan, außer Acht, auf den Ausgang aller Dinge zu achten, und wie vielen Gefahren sie auch unterliegen mögen, sie lassen sich besänftigen durch ein kleines Stückchen Glück und halten es für Vorhersehung. Aber wenn das Unglück zuschlägt, stürzt es entweder in die Verzweiflung oder befähigt zur Frucht der Wahrnehmung; dann endlich erst erkennt man, was die Menschen seien. Den Verzweifelten und den Reuelosen wird weder in dieser Welt noch in der zukünftigen irgendeine Verzeihung und Vergebung zuteil:
Sperantes autem in Domino misericordia circumdabit {Psal. xxxvII, 16).
Aber die im Herrn hoffen, wird Barmherzigkeit umgeben. (Psalm XXXVII, 16)
Affluentissime tibi paulo ante mundi hujus gloria blandiebatur, et te incertis fortunae casibus esse obnoxium non sinebat advertere. Roma suos tibi docendos transmittebat alumnos, et quae olim omnium artium scientiam auditoribus solebat infundere, sapientiorem te se sapiente transmissis scolaribus monstrabat. Nulla terrarum spatia, nulla montium cacumina, nulla concava vallium, nulla via difficilis licet obsita periculo et latrone, quominus ad te properarent retinebat. Anglorum turbam juvenum mare interjacens et undarum procella terribilis non terrebat: sed omni periculo contempto, audito tuo nomine, ad te confluebat. Remota Britannia sua animalia erudienda destinabat. Andegavenses eorum edomita feritate tibi famulabantur in suis. Pictavi, Wascones et Hiberi, Normannia, Flandria, Teutonicus et Suevius tuum calere ingenium, laudare et praedicare assidue studebat. Praetereo cunctos Parisiorum civitatem habitantes, et intra Galliarum proximas et remotissimas partes qui sic a te doceri sitiebant, ac si nihil disciplinae non apud te inveniri potuisset. Ingenii claritate, et suavitate eloquii, et linguae absolutioris facilitate, necnon et scientiae subtilitate permoti, quasi ad limpidissimum philosophiae fontem iter accelerabant. Auf das Verschwenderischste schmeichelte dir noch vor kurzem der Ruhm dieser Welt und er ließ nicht das Verständnis zu, dass du den Wechselfällen des Schicksals unterworfen seiest. Selbst Rom schickte dir seine Zöglinge zur Unterrichtung und zeigte mit der Übersendung seiner Scholaren, dass du weiser seiest als es selbst, welches einst das Wissen in allen Künsten den Hörern einzuflößen pflegte. Keine noch so weite Entfernung, keine Berggipfel, keine Talsenken, keine schwierige Wegstrecke, gefahrvoll und von Räubern verstellt, hielt sie ab, dass sie zu dir eilten. Die Schar der jungen Engländer verschreckte nicht das dazwischen liegende Meer und der schreckliche Aufruhr der Wellen: Sie verachteten jede Gefahr, hörten deinen Namen und strömten zu dir. Die entfernte Bretagne bestimmte dir ihre Menschen zur Ausbildung zu. Die Leute des Anjou dienten dir, nachdem sie erst kurz zuvor ihre Wildheit bezähmt hatten, die Ihrigen zu. Die Menschen aus dem Poitou, der Gascogne, die Iberer, die Normandie, Flandern, der Teutone und der Schwabe, sie alle bemühten sich fleißig, dein Genie zu entflammen, zu loben und zu verkündigen. Dabei übergehe ich alle Bewohner der Stadt Paris, und die ganz nahe oder auch ganz entfernt in Gallien wohnenden Leute, die so danach dürsteten, von dir unterrichtet zu werden, als wenn die Ausbildung nur bei dir hätte gefunden werden können. Bewegt durch die Klarheit deines Verstandes, durch die Sanftheit deiner Rede, durch die Gewandtheit deiner weitgehend vollendeten Formulierung, außerdem durch die Genauigkeit deines Wissens, eilten sie wie zur klarsten Quelle der Philosophie.
Nam illud, quod sic te, ut aiunt, pracipitem dedit, singularum scilicet feminarum amorem, et laqueos libidinis earum, quibus suos capiunt scortatores, melius mihi videor praeterire, quam aliquid dicere quod ordini nostro et regulae nostrae religionis non concordet : quandoquidem sermo de talibus saepe magis soleat nocere bonis, quam prodesse. Hac fortassis in te bonorum congregatione in te et super te elatus (quamvis sapiens, si hujus nominis significationem in se non exstinguat, his animi bonis minime moveatur), in superbiam, initium et pestem omnium malorum, et inanissime efferbueras, et te jactantiae vento ostentandi (? -te), omnes fere alios, etiam sanctos, qui ante te sapientis operam dederant, ut aiunt qui te frequentius audiebant, inferiores te existimabas. At omnipotens (-tis) Dei dignatio et benignitas, qui superbiae ventum facit evanescere, et humilitatis gratiam multiplicat, qui neminem morbo aegrotantem superbiae aliisque animi aegritudinibus laborantem non justo judicio despicit, tuae mentis inflationem, et oculorum extollentiam hoc adversitatis genere tui miserando perdomuit: quatenus et in te superbe non saperes, et alios quosque bonos vituperando negligere desisteres ; castimoniaeque sanctitate, et continentiae laudabili devotione de reliquo pollere. Haec corporis particula, quam omnipotentis Dei judicio, et beneficio perdidisti, quantum tibi nocuerat, ac nocere, quandiu permansit, non desistebat, melius tuarum diminutio rerum, quam mea possit monstrare oratio, docet. Quidquid vere scientiae tuae venditione perorando praeter quotidianum victum et usum necessarium, sicut relatione didici, acquirere poteras in voraginem fornicariae consumptionis domergere non cessabas. Denn jenes, was dich - wie man sagt - so hat abstürzen lassen , die Liebe zu freilich einzigartigen Frauen und die Fallstricke ihrer Begierde, mit denen sie ihre Weiberhelden fangen, übergehe ich - so scheint mir - besser, ebenso wie etwas zu sagen, was mit unserem Orden und unserer geistlichen Regel nicht im Einklang steht: Wo doch die Rede von solchen Dingen mehr den Guten zu schaden als zu nützen pflegt. Du hattest dich vielleicht durch diese Anhäufung von Gütern in dir über dich hinaus erhoben (wenn auch der Weise, wenn er die Bedeutung dieses Begriffes in sich nicht auslöscht, sich durch diese Güter des Geistes am allerwenigsten bewegen lässt), zu Überheblichkeit, dem Anfang und Verderbnis aller Übel. Du warst in eitelster Art und Weise aufgebraust, und indem du dich durch den Wind der Eitelkeit aufblieset, glaubtest du, dass fast alle anderen, auch die Heiligen, die sich vor dir um die Weisheit bemüht hatten, für niedriger hieltest als dich selbst. So sagen zumindest die, die dich ziemlich häufig hörten. Doch der allmächtige Gnadensbeweis und die Güte Gottes, der den Wind der Hochmut hat verschwinden lassen, und die Gnade der Demut vervielfältigt, der auf jeden, der an Hochmut und anderen Krankheiten der Seele leidet, mit gerechtem Urteil herabblickt, hat deinen aufgeblasenen Verstand und deinen hochmütigen Blick durch diese Art von Strafe ein für alle Mal gebändigt, weil er sich deiner erbarmt: Damit du nicht auf hochmütige Art und Weise an dir selbst Geschmack findest und aufhörst, alle anderen Guten durch deine Kritik zu missachten; durch die Heiligkeit deiner Keuschheit und durch die lobenswerte Hingabe zur Enthaltsamkeit wirst du auch mit dem Übrigen fertig. Wie sehr dir dieses kleine Körperteil, das du durch das Urteil und zugleich die Wohltat des allmächtigen Gottes verloren hast, geschadet hatte und nicht aufhörte, dir zu schaden, solange es dir geblieben ist, wie sehr es dir auch schon geschadet hatte, lehrt diese Verringerung deines Zustandes besser, als es meine Rede je zeigen könnte. Was immer du durch den Verkauf deines Wissens in deinen Vorlesungen über den täglichen Lebensunterhalt und Bedarf hinaus erwerben konntest, du hörtest nicht auf, es in den Schlund deiner Hurerei zu versenken. So wurde mir auf jeden Fall berichtet.
Avara meretricum rapacitas cuncta tibi rapuerat. Nulla audierunt saecula meretricem velle alteri misereri, vel pepercisse rebus appetitorum, quas quoquo modo auferre potuerant. Videtur hoc probare tua profunda paupertas, qui nihil, ut dicitur, praeter pannos ex tanto quaestu habebas, quum his primum casibus subjacuisti fortunae. Damnum quidem in hoc tempore tui corporis pertulisti, et secundum saeculi vanitatem, te forsitan reputas, aut reputari aestimas viliorem: omnium infelicem aestimationem, et penitus a vera ratione destitutam reputationem. Si verius quod justum et bonum est perscrutari tecum et solus studiosa frequentique meditatione velles, postposita vanitate, invenires quantum tibi afferat utilitatis particularum ista mutilatio. Die gierige Raffsucht der Dirnen hatte dir alles geraubt. Keine Zeit hat gehört, dass sich eine Hure eines anderen hätte erbarmen wollen oder dass sie das Vermögen ihrer Freier geschont hätte, das sie auf jegliche Art und Weise hatte beiseite schaffen können. Dies scheint deine tiefe Armut zu beweisen, der du, wie man sagt, nichts außer ein paar Lumpen aus einer so großen Einnahme hattest, als du dich erstmals diesen Schicksalsschlägen unterwarfst. Zu der Zeit hast du freilich den Körperschaden ertragen und entsprechend der Eitelkeit der Zeit hältst du dich vielleicht für ziemlich wertlos oder glaubst, dafür gehalten zu werden: Unglückliche Einschätzung aller und eine völlig von wahrer Vernunft in Stich gelassene Betrachtungsweise! Wenn du um so wahrhaftiger in dir und ganz allein erforschen wolltest, was gerecht und gut ist, und zwar durch eifrige und häufige Meditation, und wenn du deine Eitelkeit hinter dir gelassen hättest, hättest du finden können, wie sehr dir diese Verstümmelung deiner Körperteile genützt hat.
Primum quidem, quod plurimas evasisti passiones, quibus frequenter quatiuntur, qui tale aliquid minime perdiderunt: et quibus nequaquam tenentur obnoxii, ut physici affirmant, qui hujus partis corporis privatione ab omni felicitate se cecidisse stolidissime putant. Deinde autem quod ardore libidinis et luxuriae facibus, quo malo aliquando tanguntur etiam sancti, nullam ex hoc jam nisi sola cogitatione patieris vexationem : sed exstincta feralis flamma incendii, ad te redeas necesse est, mentemque, quae per multa et dulcia luxuriae insania vagabatur, in solidum recolligas. Jam poteris liber, nulla retractante libidine, omnium vias cognoscere rationum, et causas, quas aut parum, aut nihil percipiunt, qui per diversa libidinis incitamenta rapiantur. Adde quod pecunia tua, si quam tibi habere licuerit (non enim est monachorum sine licentia proprium quid habere), vexatione distrahentium non erit obnoxia. A modo incipies possidere quod multis paulo ante distrahebatur eviscerationibus. Hoc quoque magni existimare debes, quod nulli suspectus, ab omni hospite hospes tutissime recipiaris. Maritus uxoris violationem ex te, vel lectuli concussionem minime formidabit. Decentissime ornatarum turmas matronarum inviolabiliter pertransibis. Virginum choros flore juventutis splendentium, quae etiam senes jam calore carnis destitutos suis motibus in fervorem libidinis inflammare consueverunt, non timens earum incessus et laqueos, securus et sine peccato miraberis. Sodomitarum secretos recessus, quos detestatur super omnes turpissimos divinae justitiae veritas, et eorum turpia et maligna consortia, quae quidem semper odisti, de caetero te sine intermissione vitare verum est. Et omnino post hos hujus fragilissimae fragilitatis fluxus, quod magnum Dei gratiae munus in hoc ordine aestimo, nocturnas somniorum illusiones te minime sentire ita certum est, sicut certum est quoniam voluntatem, si forte aderit, nullus sequetur effectus. Blanditiae [aliter blandimenta] uxoris corporumque contactus, sine quo uxor haberi non potest, ac liberorum cura singularis, quominus Deo placeas minime retardabunt. Quam magnum aestimas bonum, peccandi periculis te subtrahi, et in non peccandi securitate constitui? Leoninam itaque meretricum ferociam, quam primum ad se introeuntibus ostendunt, serpentinae deceptionis astutiam, captivae earum luxuriae incontinentiam poteris vitare superbus. Quod loquor melius de reliquo rerum experientia es cogniturus, quam verbis valeam explicare. Erstens freilich bist du sehr vielen Leidenschaften entronnen, von denen häufig die erschüttert werden, die nicht einen solchen Verlust erlitten haben. Und selbst, wenn die Betroffenen auf das Törichtste meinen, sie seien durch den Verlust dieses Körperteiles allen Glückes verlustig gegangen, so sind sie doch keinesfalls den Leidenschaften preisgegeben. Die Ärzte bestätigen dies. Zweitens wirst du nur durch die Gedanken allein Heimsuchung erleiden, nicht jedoch durch die Glut der Begierde und den Anreiz der Ausschweifung - Übel, von denen mitunter auch die Heiligen berührt werden. Doch wenn die verderbliche Brandfackel verloschen ist, musst du zu dir zurückkehren und den Verstand, der viele und süße Wahnvorstellungen der Ausschweifung durchstreifte, auf fester Basis sammeln. Als freier Mann, nicht mehr zurückgehalten von Begierde, wirst du alle Wege und Gründe der Erkenntnis erfahren, welche diejenigen zuwenig oder nicht vernehmen, die sich durch die verschiedenen Anreize der Begierde gefangen nehmen lassen. Es kommt noch dazu, dass dein Geld, falls du noch welches haben darfst (denn Mönche dürfen nur mit besonderer Erlaubnis Eigentum besitzen), nicht der Heimsuchung der Raffer ausgesetzt sein wird. Von jetzt an wirst du besitzen, was noch vor kurzem dir ausgeschlachtet wurde. Dies musst du auch hochschätzen, dass du, über jeden Verdacht erhaben, von jedem Gastgeber als Gastfreund hoch behütet aufgenommen wirst. Der Gatte wird eine Schändung der Gattin durch dich oder auch nur ein Strapazieren des Bettes überhaupt nicht mehr fürchten. Ohne Schaden und ganz geziemlich wirst du an Scharen von aufgetakelten Damen vorüber schreiten. Sicher und ohne Sünde wirst du die Chöre der in blühender Jugend strahlenden Mädchen bewundern, ohne dass du ihre Annäherung und ihre Fallstricke fürchten musst. Diese pflegen ja selbst alte Männer, die schon von der Fleischesglut verlassen sind, noch mit ihren Bewegungen zur Geilheit aufzureizen. Wahrlich, du meidest übrigens ohne Unterbrechung die geheimen Winkel der Sodomiten, die der wahre und gerechte Gott als die schändlichsten von allen verflucht, und ihre schändlichen und bösartigen Gemeinsamkeiten, die du freilich schon immer gehasst hast. Nach diesen Aufzählungen der empfindlichsten Schwachpunkte ist es jetzt völlig sicher, dass du in keiner Weise die nächtlichen Anfechtungen im Traum empfindest, was ich als großes Gnadengeschenk Gottes in diesem Ordensstande einschätze. Sicher ist dies deshalb, weil ja der Absicht, auch wenn sie zufällig vorläge, keine Handlung folgen wird. Die Schmeicheleien einer Gattin und die körperlichen Berührungen, ohne die man seine Gattin nicht besitzen kann, ebenso die einzigartige Sorge um die Kinder, werden dich nicht hemmen, so dass du Gott gefällst. Wie groß schätzt du das Gut, dass dir die Gefahren der Versündigung entzogen sind, und dass du feststehst in der Gewissheit, nicht sündigen zu können. Voll Stolz wirst du die löwenartige Wildheit der Dirnen, die sie den zu ihnen Eintretenden zuerst zeigen, die schlangenhafte Verschlagenheit und Täuschung, ihre Unenthaltsamkeit und Geilheit meiden. Was sage ich - du wirst über alles andere besser Erfahrungen sammeln, als ich mit Worten auszudrücken vermag.
Origenes ille, cujus alta sapientia ubique praedicatur et colitur, praeter hoc quod quaedam errata minime correxit, referens tamen culpam in Ambrosium discipulum, ut dicit beatus Hieronymus, qui clanculum edita, ante tempus in lucem protulerit; ille, inquam, Origenes devitans omnem libidinis suspicionem, hac parte corporis se sponte privavit. Ioannes et Paulus, Protus et Hyacinthus, aliique plures gloriosi martyres, gloria et honore in supercaelestibus in praesentia Dei coronati, in hac temporis brevitate gaudent genitalibus caruisse. Et beati sunt, qui propter regnum coelorum se castraverunt. Poteram fortasse plurima talium exempla ponere, sed quae dicta sunt sufficiant.

Ergo, frater, ne doleas, nec contristeris, nec perturbatione hujus incommodi quatiaris, praesertim quum hoc tam plures, ut dictum est, utilitatis atferat fructus, et quod hoc modo factum est semper et irreparabile permaneat et evulsum. Sit hoc tibi solamen assidue quod redintegrari natura non patitur, levius potest tolerari:

Jener Origenes, dessen hohe Weisheit überall verkündigt und verehrt wird - abgesehen davon, dass er manche Irrlehren nicht verbessert hat - hat selbst eine Schuld gegenüber jenem Schüler Ambrosius berichtet, der - wie der heilige Hieronymus sagt - vor der Zeit Geheimnisse ans Licht gebracht hat; jener Origenes hat - so sage ich - jeglichen Verdacht der Geilheit völlig vermieden und hat sich freiwillig des entsprechenden Körperteiles beraubt. Johannes und Paulus, Protus und Hyazinthus, und noch mehr ruhmreiche Märtyrer, haben - gekrönt durch Ruhm und Ehre im Himmel und im Angesicht Gottes - voll Freude in der Kürze ihrer Zeit auf ihre Geschlechtsorgane verzichtet. Und selig sind die, die sich wegen des Königreiches im Himmel kastriert haben. Ich könnte noch mehr solche Beispiele anführen, aber das bislang Gesagte soll genügen!

Also, Bruder, klage nicht, sei nicht traurig, lass dich durch die Verwirrung dieses Schadens nicht erschüttern, vor allem, weil dies - wie erwähnt - so viele nützliche Früchte mit sich bringt, und weil das Geschehene auf immer nicht wieder herstellbar und ausgemerzt bleibt. Es soll dir fortwährend ein Trost sein, dass umso leichter zu ertragen ist, was die Natur nicht wiedergutmachen lässt.

Fer et haec (ut ait ille), solatia tecum - Lucan., Pharsal., VI, V.802
Ertrage auch dies (wie jener sagt), und sei getrost! (Lucan., Pharsal., VI, V. 802)
Quoniam tempore hujus diminutionis vel torum violando aliorum, vel in aliquo fornicationis veneno minime deprehensus es. Membra quieti dederas et sopori, nullique malum inferre parabas, cum ecce manus impietatis et ferramentum exitiale sanguinem tuum innoxium gratis fundere non dubitaverunt. Plangit ergo hoc tuum vulnus et damnum venerabilis episcopi benignitas, qui, quantum licuit, vacare justitiae studuit. Plangit liberalium canonicorum ac nobilium clericorum multitudo. Plangunt cives, civitatis hoc dedecus reputantes, et dolentes suam urbem tui sanguinis effusione violari. Quid singularum feminarum referam planctum, quae sic, hoc audito, lacrymis, more femineo, ora rigarunt, propter te militem suum, quem amiserant, ac si singulae virum suum aut amicum sorte belli reperissent exstinctum? Tantus ergo omnium luctus exstitit, ut melius mihi videaris te debere velle periisse quam servasse quod periit. Felix se nescit amari. Pene tota civitas in tuo dolore contabuit. Habes arrham verae dilectionis in te, quam si prius agnovisses. Nullas, meo judicio, divitias illi comparabiles aestimares. Sed forsitan illo sermone prophetico mihi respondere contendes: Du bist doch zum Zeitpunkt der Verstümmelung in keinster Weise ertappt worden, weder durch die Verletzung anderer Ehen noch durch das Gift der Hurerei. Du hattest tief und fest geschlafen und keinem ein Übel antun wollen, als die Hände der Ruchlosigkeit und das unheilvolle Eisen nicht zögerten, dein unschuldiges Blut zu vergießen. Es beklagt also diese deine Verwundung und deinen Schaden der ehrwürdige und gütige Bischof, der sich bemüht hat, im erlaubten Rahmen für die Gerechtigkeit frei zu sein. Es klagt die Menge der freien Kanoniker und der adeligen Kleriker. Es klagen die Bürger, denn sie halten dies für eine Schande der Bürgerschaft, und sie empfinden Schmerz darüber, dass ihre Stadt durch dein Blutvergießen verletzt worden ist. Was soll ich berichten über das Wehklagen einzelner Frauen, die - wie ich hörte - so mit Tränen nach Frauenart ihr Gesicht benetzt haben, wegen dir als ihrem Ritter, den sie verloren hatten - so, als wenn die eine oder andere ihren Mann oder Freund durch das Kriegsgeschick tot aufgefunden hätte. Die allgemeine Trauer war so groß, dass es mir besser erscheint, du hättest vorgezogen, ganz vernichtet worden zu sein, als gerettet zu haben, was unwiederbringlich ist. Glücklich, wer nicht weiß, dass er geliebt wird. Fast die ganze Stadt ist in deinem Schmerz schwach geworden. Du hast den Vorschuss der wahren Liebe zu dir, mehr als du früher erfahren hättest. Meinem Dafürhalten nach solltest du keinen Reichtum jenem gleichsetzen. Aber vielleicht wirst du mir mit jenem Prophetenwort antworten:
Renuit consolari anima - (Psalm. LXXXI, 3)
Die Seele verweigert den Trost (Psalm. LXXXI, 3).
Non possum non dolere tam probroso tactus incommodo, quoniam hoc hominum genus suam solet aetatem adducere. Nudantur genae post modicum ornamento pilorum, et gloria cutis in facie in rugam contrahitur, pallor inconveniens confundit vultum, et qui me aliquando noverunt, ex quo faciem meam viderint, statim esse mutilum hac corporis parte sunt cognituri. Exigam ergo mei vindictam dedecoris, et totum meae pondus injuriae Romanis auribus intimare studebo, et tam episcopum quam canonicos, quoniam primum judicium de illo qui in me malus exstitit, mutare machinati sunt, quantum potero perturbabo, ac tum demum intelligent quam sit contrarium honestati a rigore justitiae deviasse. Betroffen von einem so schändlichen Schaden, kann ich nicht schmerzfrei sein, weil ja dadurch die menschliche Rasse älter zu werden pflegt. Es werden die Wangen sehr schnell bloß, verlieren das Schmuckwerk der Haare, und die vormals glänzende Haut zieht sich zusammen und schlägt Falten, unpassende Blässe überströmt die Züge, so dass diejenigen, die mich einst gekannt haben, dadurch, dass sie mein Gesicht sehen, sofort erkennen werden, dass ich an diesem Körperteil verstümmelt worden bin. Ich werde also Rache für meine Schande fordern, und danach trachten, den Leuten in Rom die ganze Last meines Unrechts bekannt zu geben, und ich werde, so sehr ich vermag, den Bischof und die Kanoniker beunruhigen. Denn sie haben es fertig gebracht, das erste Urteil über jenen, der sich gegen mich als böse erwiesen hat, abzuändern. Bis sie schließlich begreifen, wie ehrabweichend es ist, von der Strenge der Gerechtigkeit abgewichen zu sein.
Pergit Fulco Abaelardum, quin Romam petat iis rationum momentis absterrere, quae non sine maximo scandalo catholicae aures exciperent, siquidem Romanam curiam talibus lacessit injuriis quales haeretici, immo impiissimi nostrae aetatis homines usurpare consueverant. Hunc igitur locum, ut sanctae Ecclesiae, ita lectoribus nostris molestissimum, expungere non dubitavimus. (Editor Patrologiae Latinae)

Alio loco haec inveniuntur:

Nunquid non audisti aliquando de Romanorum avaritia et impuritate? Quis umquam suis potuit opibus meretricum voraginem satiare? Quis potuit sacculis cupiditatis earum sufficere crumenis...

Quotquot enim nostris temporibus, ad illam sedem, sine pondere pecuniae accesserunt, perdita causa, confusi et reprobi abscesserunt...

Fulko fährt fort, Abaelard von einem Gesuch in Rom abzuschrecken - mit den Argumenten, welche katholische Ohren nicht ohne größten Skandal vernehmen können; er reizt nämlich die römische Kurie mit dem nämlichen Unrecht, wie es sich die Ketzer, ja sogar die ruchlosesten Menschen unserer Zeit, anzueignen pflegten. Wir haben nicht gezögert, diese Stelle auszumerzen, war sie doch unseren Lektoren ebenso wie der Heiligen Kirche äußerst lästig (Der Herausgeber der Patrologia Latina)

Im folgenden die fehlende Passage, zitiert nach Charlotte Charrier, über die Römische Kurie:

Eine armselige Partei und völlig nutzlos! Hast du nicht von der Habgier und der Unreinheit der Römer gehört? Wer hätte je mit seinem Reichtum den Schlund der Dirnen stopfen können? Wer hätte mit seinem Geld die Beutel ihrer Gier befriedigen können? Mehr mußt du deinem Konvent nützlich sein als ihm schaden, und du würdest ihm schaden, wenn du eine Aktion beabsichtigst!

(Dann geht Fulko ins Detail: Das Vermögen Abaelards, entweder bescheiden oder nicht vorhanden, würde nicht genügen. Wenn er die Hilfe seiner Eltern erbäte, würde ihm die bescheidene Hilfe, die sie ihm leisten könnten, zu nichts nützen. Wenn er Geld von seinem Konvent liehe, würde es ihm einen ungeheuren Schaden verursachen, und er würde ihn verlassen müssen. Wenn ihm sein Konvent die Hilfe verweigerte und er auf eigene Faust reiste, er würde sich umsonst verausgaben. Alle Zeitgenossen, die sich mit leeren Händen dem Heiligen Stuhl genähert hätten, seien verwirrt und verurteilt davongegangen, nach Verlust ihrer Sache. Wenn er voller Dreistigkeit trotzdem seinen Fall vorbringen wollte, er würde nur Gelächter ernten und keine Gerechtigkeit erfahren.)

Si de vindicta quereris, quam multum sitit anima tua et desiderat, noli continuo morderi dolore et tabescere quia jam in maxima parte visa est adimpleri. Nam quidam illorum, qui tibi nocuerunt, oculorum privatione et genitalium abscissione mutilati sunt. Ille autem qui per se factum abnegat, jam ab omni possessione sua bonorum suorum comportatione exturbatus est. Noli ergo canonicos vel episcopum tui sanguinis effusores vel perditores vocare, qui propter te et propter se, quantum potuerant, justitiae intenderunt, sed audi consilium bonum et veri amici consolationem. Monachus es et sanctae religionis habitum, non invitus, sed sponte sumpsisti. Non igitur amplius tibi vindictam exigere licet, si in veritate vis tenere et amare quod in hujus nominis significatione monstratur contineri. Si vero odio habueris etiam inimicum qui hoc opus fecit, nec odire desinis; afferat aliud qui velit, ergo confidenter assero, vestem quidem Christi portare potes, sed ad nullam tibi utilitatem proveniet. Sequimini, inquit Apostolus, pacem cum omnibus et sanctimoniam sine qua nemo videbit Deum (Hebr. XII,14). Mihi vindicta, inquit Dominus, et ergo retribuam (Rom. XII, 16). Si vis esse perfectus, incipe Christum perfecte diligere, et usque ad diligendum pertinges. Dimitte minas et verba ampullosa incassum effundere. Neque enim potes implere quod cupis. Injuria injuste irrogata, non cui irrogatur, sed ei qui irrogat, infamia est. Noli de caetero de amissa dolere felicitate, quam semper adversitatis incommoda prosequuntur. Si ergo in sancto proposito permanseris usque in finem nec defeceris, Christus omnia quae perdidisti, multipliciter et mirabiliter reformabit in glorificatione corporum in futuro beatorum, ac tum demum regula dialecticorum falsa apparebit, dicentium in habitum nunquam posse redire privationem.

Vale in Domino.

Wenn du über die Bestrafung klagst - wie sehr auch deine Seele nach Rache dürstet - lass dich nicht von ständiger Pein quälen und werde nicht schwach, weil die Strafe offensichtlich schon zum größten Teil erfüllt worden ist. Denn einigen von denen, die dir geschadet haben, sind die Augen ausgestochen und die Geschlechtsteile abgeschnitten worden. Jener aber (vermutlich Fulbert), der die Beteiligung an der Tat ableugnet, ist schon aus dem Gesamtbesitz durch Beschlagnahmung seiner Güter vertrieben worden. Nenne also nicht die Kanoniker oder den Bischof Vergießer deines Blutes oder Verderber, die sich deinetwegen und ihretwegen, soweit es in ihrer Macht stand, um Gerechtigkeit bemüht haben, sondern höre den guten Rat und den Trost eines aufrichtigen Freundes. Du bist Mönch und hast den Habit der Heiligen Religion nicht gegen deinen Willen, sondern freiwillig genommen. Du darfst also nicht weiter Rache für dich fordern, wenn du in der Wahrheit festhalten und lieben willst, was in der Bedeutung dieses Namens (Mönch) erkennbar enthalten ist. Wenn du aber von Hass gefangen wirst, hörst du auch nicht auf, den Feind, der dieses Werk vollbracht hat, zu hassen. Anderes möge vorbringen, wer will, ich werde im Vertrauen hinzufügen, du kannst zwar das Kleid Christi tragen, aber es wird dir zu nichts nützen. Folgt, sagt der Apostel, dem Frieden mit allen und der Heiligkeit, ohne die keiner Gott sehen wird (Hebr. XII, 14). Mir ist die Rache, sagt der Herr, und ich werde sie erteilen (Röm. XII, 16). Wenn du vollkommen sein willst, fange an, Christus vollkommen zu lieben, und deine Liebe erstreckt sich auf alles, was geliebt werden soll. Höre auf, Drohungen und schwülstige Worte nutzlos zu vergeuden. Denn du kannst nicht erreichen, was du willst. Auf ungerechte Art und Weise eingeklagtes Unrecht ist eine Schande nicht für den, der eingeklagt wird, sondern für den, der einklagt. Habe im übrigen keine Schmerzen über das verlorene Glück, dem immer die Unbilden des Unglücks folgen. Wenn du aber in deinem heiligen Vorsatz verharrst und bis zum Ende nicht abtrünnig wirst, wird dir Christus alles, was du verloren hast, vielfach und bewundernswert erstatten bei der Glorifizierung der künftig heiligen Leiber. Dann endlich wird sich die Regel der Dialektiker als falsch erweisen, die sagen, dass niemals das, dessen man beraubt worden ist, in seinen alten Zustand zurückkehren kann.

Lebe wohl im Herrn!


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