Sermo XXIV: In Conversione Sancti Pauli - Pars prima

      © Dr. Werner Robl, August 2001

Der Utrecht Psalter, 1413, British museum, London, MS Add. 10043, f 4v.

In seiner 24. Predigt für die Nonnen des Paraklet verwendete Peter Abaelard zur Erklärung der Bekehrung des Apostels Paulus eines der häufigsten allegorischen Motive des Mittelalters: Das ungezähmte Einhorn.

Die Ursprünge dieses Mythos liegen - als Bestandteile der chinesischen, indischen und babylonischen Mythologie - vor dem Beginn des ersten vorchristlichen Jahrtausends. Abaelard jedoch kannte das Motiv aus den Büchern des Alten Testamentes, vor allem aus dem Buch Hiob und dem Psalter, und ließ auch die diesbezügliche Kommentierung Gregors, des Großen, in seine Schriftauslegung mit einfließen. Er stellte die Termini Rhinozeros, Monozeros und Unicornus unterschiedslos nebeneinander und vermengte dabei naturwissenschaftliche Erkenntnisse, die aus Zentralafrika über die arabische Welt nach Europa eingedrungen waren und von wilden, unbezähmbaren Rhinozerossen, die sogar Elefanten angriffen, berichteten, mit dem viel älteren Mythos der das Einhorn bezähmenden Jungfrau. Diese besänftigte das Fabelwesen dadurch, dass es ihm ihren Schoß anbot, in welchem das Tier in einer Art Trance den Kopf mit dem einen Horn barg. Das hoch-erotische Motiv prägte in unzähligen Varianten die Minne-Kunst  des Mittelalters. Es hat sich in seiner tiefenpsychologischen Dimension bis in die heutige Zeit erhalten. Abaelard dagegen benutzte das Bild von der Zähmung des Nashorns als Allegorie für die Bekehrung eines vormals verstockten Heiden wie Paulus zum Christentum. Er identifizierte noch nicht - wie im späteren Mittelalter weit verbreitet - die zähmende Jungfrau als Maria, die Mutter Gottes, sondern vielmehr als Christus, die Weisheit selbst. Ansonsten legte er den hermeneutischen Schwerpunkt seiner Argumentation auf die unbändige Wildheit des Tieres vor der Konversion.

Ganz vereinzelt klingen in der Predigt Inhalte aus Abaelards philosophischem Werk, der Logik, an - so zum Beispiel, wenn er die Begriffe genus und species - Gattung und Art - verwendet oder von rationale sapiens - vernunftorientiertes Wissen - spricht.

Die folgende Passage entspricht der ersten Hälfte der Predigt.

 

In conversione Sancti Pauli

 

Zur Bekehrung des Heiligen Paulus
Praecipui gentium doctoris conversio tanto devotius a conversis per eum gentibus est celebranda, quanto ipsas ipsi amplius esse constat obnoxias. Sola ejus conversio, per quam universus conversus est mundus, vel diligentius de fide instructus ac perfectius edoctus, solemnitatem in Ecclesia meruit obtinere. Solus inter apostolos ipse est, qui propheticis praeconiis olim mundo promissus est, atque propriis vaticiniis designatus, et a caeteris discretus itaque segregatus. 

 

Mit umso größerer Hingabe muss die Bekehrung des hervorragenden Lehrers der Völker von eben den Völkern, die er bekehrt hat, gefeiert werden, je mehr bekanntlich gerade diese ihm selbst verpflichtet sind. Allein seine Bekehrung, durch die die ganze Welt bekehrt oder allzu sorgfältig im Glauben unterrichtet und vollkommen belehrt worden ist, hat verdient, in der Kirche gefeiert zu werden. Denn gerade er ist der einzige unter den Aposteln, der durch die Prophezeiungen der Welt einst versprochen und durch eigene Weissagungen bezeichnet worden ist, und sich somit von allen anderen als etwas Besonderes unterscheidet.

 

Hic est rhinoceros seu monoceros ille hodie divinis loris astrictus, qui pristinam feritatem deposuit, et Domini jugo deditus, divinumque aratrum trahens, glebas vallium frangere coepit. De cujus mirabili conversione et ipse Dominus ad beatum Job loquens, et virtutem suam, qua id potuit, magnificans, ait: "Nunquid rhinoceros volet servire tibi?" (Job 39, 9) Ac si diceret: "Sicut mihi, aut morabitur ad praesepe tuum? Nunquid alligabis rhinocerotem ad arandum loro tuo, aut confringet glebas vallium post te? Nunquid habebis fiduciam in magna fortitudine ejus, et derelinques ei labores tuos? Nunquid credes ei, quod reddat sementem tibi, et aream tuam congreget?" (ibid. 10 et seq.)

 

Angebunden durch die göttlichen Zügel, stellt Paulus jenes Nashorn oder Einhorn dar, welches seine einstige Wildheit abgelegt und sich dem Joch des Herrn gebeugt hat. Es zieht den göttlichen Pflug und beginnt, die Schollen der Talgründe umzubrechen. Über dessen bewundernswerte Bekehrung sprach der Herr selbst zum heiligen Hiob und lobte seine Tugend über alles: "Ob das Rhinozeros dir wohl künftig dienen will?" Damit meinte er: "So wie mir; oder wird es an deiner Krippe stehen? Ob du wohl dem Nashorn zum Pflügen das Zaumzeug umlegen wirst? Oder wird es hinter dir die Schollen der Talgründe umbrechen? Wirst du wohl auf seine große Stärke vertrauen und ihm deine Arbeiten überlassen? Wirst du ihm glauben, dass es dir die Ernte einbringt und in Deine Tenne versammelt? (a. a .O., 10 und folgende)

 

Quod beatus Gregorius, libro Moralium XXXI, de beato denique Paulo diligenter exponit: "Rhinocerotus, inquit, indomitae omnino naturae est, ita ut si quando captus fuerit, teneri nullatenus possit. Impatiens quippe ut fertur, illico moritur. Ejus vero nomen Latina lingua interpretatum sonat: in nare cornu." - Rhinoceros, qui etiam monoceros Graecis exemplariis nominatur, tantae esse fortitudinis dicitur, ut nulla venantium virtute capiatur. Sed sicut hi asserunt, qui describendis staturis animalium laboriosa investigatione sudaverunt, virgo ei puella proponitur. Quae venienti sinum aperit, in quo ille omni ferocitate deposita caput deponit. Sicque ab eis, a quibus capi quaeritur, repente velut enervus invenitur. Buxei quoque coloris esse describitur. Qui etiam cum elepfantis quando certamen ingreditur, eo cornu quod in nare singalariter gestat, ventrem adversantium ferire perhibetur; ut cum ea quae molliora sunt vulnerat, impugnantes se facile sternat. 

 

Recht sorgfältig stellt der Heilige Gregor in seinem Werk Moralia, Kap. 31, über den Heiligen Paulus Folgendes dar: "Das Rhinozeros ist von gänzlich ungezähmter Natur, so dass es, wenn es einmal gefangen worden ist, in keiner Weise gehalten werden kann. Ja es duldet sogar keine Gefangenschaft und stirbt sofort. Sein Name, ins Lateinische übertragen, klingt folgendermaßen: 'Horn auf der Nase'." - Das Rhinozeros, das in einzelnen Griechischen Werken auch Monozeros genannt wird, soll von solcher Stärke sein, dass es durch kein noch so großes Jagdgeschick gefangen wird. Aber - wie diese hinzufügen, die sich bemüht haben, durch eifrige Erforschung die Statur der Lebewesen zu beschreiben - führt man ihm ein jungfräuliches Mädchen zu, und bietet dieses ihm seinen Schoss dar, dann legt es jegliche Wildheit ab und legt sein Haupt dorthin. So wird es von denen, die es fangen wollen, wie entseelt aufgefunden. Man sagt auch, es sei von der gelblichen Farbe des Buchsbaumes. Manchmal lässt es sich auch mit den Elefanten auf einen Kampf ein. Dann soll es mit dem Horn, welches es einzeln auf der Nase trägt, den Bauch der Gegner aufschlitzen. Und indem es diese Weichteile verwundet, streckt es sie beim Ansturm mit Leichtigkeit zu Boden.

 

Potest ergo per hunc rhinocerotem, vel certe monocerotem, unicornem, ille populus intelligi, qui dum de accepta lege non opera, sed solam inter cunctos homines elationem sumpsit, quasi inter caeteras bestias cornu singulari certavit. Inde passionem suam Dominus, Propheta canente, praenuntians ait: "Libera me de ore leonis, et a cornibus unicornium humilitatem meam." (Psal. 22, 32) Tot quippe in illa gente unicornes vel rhinocerotes exstiterunt, quot contra praedicationem veritatis de legis operibus gloriati, et fatua elatione confisi sunt. Beato igitur Job Ecclesiae typum tenenti dicitur: "Nunquid volet rhinoceros servire tibi?" Ac si dicatur: "Nunquid illum populum, quem superbire in nece fidelium stulta sua elatione considerans, sub jure tuae praedicationis inclinas?" Subaudis: "Ut ego, qui et contra me illum singulare cornu extolli conspicio, et tamen mihi, cum voluero, protinus subdo." Sed hoc melius ostendimus, si de genere ad speciem transeamus.

 

Infolgedessen kann in diesem Rhinozeros - oder besser Monozeros, d.h. Einhorn - jenes Volk begriffen werden, welches - während es vom empfangenen Gesetz nicht die Werke, sondern allein die Überheblichkeit unter allen Menschen empfangen hat - gleichsam unter den übrigen Tieren mit einen Einzelhorn kämpft. Daher verkündet der Herr durch den Propheten sein Leiden und spricht: "Befreie mich aus dem Maul des Löwen, und meine Demut von den Hörnern der Einhörner." (Psalmen 22, 32) In diesem Volk haben freilich so viele Einhörner oder Rhinozerosse bestanden, wie viele gegen die Verkündigung der Wahrheit sich mit den Werken des Gesetzes gebrüstet und auf ihre törichte Überheblichkeit vertraut haben. Also wird von Heiligen Hiob, indem er ein Bild der Kirche entwirft, gesagt: "Ob das Rhinozeros dir künftig dienen will?" Als wenn er sagte: "Ob du wohl jenes Volk, von dem du siehst, dass es im Mord an den Gläubigen aus dummer Überhebung eingebildet wird, unter das Gesetz deiner Verkündigung beugst?" Man versteht darunter: "Wie ich, der ich jenes einzelne Horn auch gegen mich erhoben sehe, es dennoch mir, nach meinem Willen, künftig unterwerfe?" Aber wir zeigen dies besser, wenn wir von der Gattung zur Einzelart übergehen.

 

Ille [Paulus] ergo ex hoc populo et primus in superbia, et postmodum praecipuus testis in humilitate nobis ad medium deducatur, qui, dum contra Deum se quasi de custodia legis nesciens extulit, cornu in nare gestavit. Unde et hoc ipsum naris cornu per humilitatem postmodum inclinans dicit: "Qui prius fui blasphemus, et persecutor, et contumeliosus, sed misericordiam consecutus sum, quia ignorans feci" (1 Tim. 1, 13) In nare cornu gestabat, qui placiturum se Deo de crudelitate confidebat, sicut ipse postmodum semetipsum redarguens dicit: "Et proficiebam in judaismo supra multos coaetaneos meos in genere meo, abundantius aemulator existens paternarum mearum traditionum." (Galat. 1, 14) Hujus autem rhinocerotis fortitudinem omnis venator extimuit, quia Sauli saevitiam unusquisque praedicator expavit. Scriptum namque est: "Saulus autem adhuc spirans minarum et caedis in discipulos Domini." etc. (Act. 9, 1) Cum flatus nare reddendus trahitur, spiratio vocatur, et illud saepe per odorem nare deprehendimus, quod oculis non videmus. Rhinocerus ergo iste nare gestabat cornu quo percuteret, quia minarum et caedis spirans, postquam praesentes interfecerat, absentes quaerebat. Sed ecce omnis ante illum venator absconditur, omnis homo, id est rationale sapiens, opinione mortis ejus effugatur.

 

Aus diesem Volk stammte jener Paulus also, und er war der erste in der Hochmut, trug das Horn auf der Nase, während er sich - Gott zuwider - als gleichsam unkundig in der Bewahrung des Gesetzes herausstellte. Wenig später wird er uns als hervorragender Zeuge der Demut vermittelt. Da senkte er gerade dieses Horn auf der Nase in Demut und sagte: "Als der Gotteslästerer, der ich früher gewesen bin, der Scherge, der Frevler, habe ich Erbarmen erlangt, denn ich war unwissend." (Tim. 1, 13) Er trug ein Horn auf der Nase, weil er darauf vertraute, sich Gott durch Grausamkeit gewogen zu machen, so wie er später sich selbst beschuldigte: "Und ich machte Fortschritte im Judentum, über viele Genossen meines Stammes hinaus, und ich erwies mich im Übermaß als Nachahmer meiner väterlichen Satzungen." (Galater 1, 14) Die Stärke dieses Nashorns aber hat jeder Jäger gefürchtet, weil jeder Prediger in Furcht über das Wüten des Saulus geriet. Denn es steht geschrieben: "Saulus aber schnaubte noch mit Drohungen und Morden wider die Jünger des Herrn..." (Apostelgeschichte 9, 1) Das Ein- und Ausatmen wird Schnauben genannt, und wir riechen oft auch durch den Gestank, was wir mit den Augen nicht sehen. Dieses Rhinozeros trug ein Horn auf der Nase, mit dem es durchbohrte, denn es schnaubte von Drohungen und Morden, und als es die Anwesenden beseitigt hatte, suchte es auch noch nach den Abwesenden. Und siehe, jeder Jäger verbirgt sich vor ihm; jeder Mensch, d. h. jedes vernünftig denkende Wesen, wird von der Todesahnung vertrieben.

Ut ergo hunc rhinocerotem capiat, sinum suum virgo, id est secretum suum, ipsa per se involuta carne Dei sapientia expandit. Scriptum quippe est quod cum Damascum pergeret, subito circumfulsit eum die media lux de coelo, et vox facta est, dicens : "Saule, Saule, quid me persequeris?" (Act. 9, 4) Qui prostratus in terra respondit: "Quis es Domine?" Cui illico dicitur: "Ego sum Jesus Nazarenus quem tu persequeris." (ibid., 5) Virge nimirum rhinoceroti sinum suum aperuit, cum Saulo incorrupta Dei sapientia incarnationis suae mysterium de coelo loquendo patefecit. Et fortitudinem suam rhinocerotus perdidit, quia prostratus humi omne quod superbum tumebat amisit. Qui dum sublato coelorum lumine, manu ad Ananiam ducitur, patet jam rhinocerus iste quibus Dei loris astringitur, quia videlicet uno in tempore caecitatis praedicationis baptismate ligatur. Qui etiam ad Dei praesepe ligatus moratus est, quia ruminare verba Evangelii dedignatus non est. Ait enim: "Ascendi Jerosolymam cum Barnaba assumpto et Tito. Ascendi autem secundum revelationem, et contuli cum illis Evangelium." (Galat. 2, 1)

Damit es aber dieses Nashorn fange, breitet die Jungfrau ihren Schoß aus, d.h. ihr Geheimnis, nämlich gerade die Weisheit Gottes, die durch sie selbst dem Fleisch verwoben ist. Denn es steht geschrieben, dass, als Paulus nach Damaskus aufbrach, ihn plötzlich am helllichten Tage ein Licht vom Himmel umblitzte, und eine Stimme sprach: "Saulus, Saulus, warum verfolgst du mich?" (Apostelgeschichte 9, 4) Dieser stürzte zu Boden und antwortete: "Wer bist du, Herr?" Da antwortet die Stimme unverzüglich: "Ich bin Jesus, der Nazarener, den du verfolgst." (a .a. O., 5) Die Jungfrau bot dem Rhinozeros offensichtlich ihren Schoß an, als sie dem Saulus durch die unverdorbene Weisheit Gottes, durch ein Wort vom Himmel, das Mysterium ihrer Menschwerdung eröffnete. Und das Nashorn verlor seine Stärke, weil es - zu Boden gestreckt - alle stolze Aufgeblasenheit verlor. Als das Licht am Himmel verschwunden ist, wird Paulus an der Hand zu Ananias geführt, und es ist klar zu erkennen, dass diesem Rhinozeros der Zügel Gottes angelegt ist, weil es offensichtlich gleichzeitig mit der Blindheit auch mit der Verkündigung und der Taufe verbunden wird. So stand es - gebunden an die Krippe Gottes - da, weil es nicht für unwürdig empfunden worden ist, die Worte des Evangeliums wiederzukäuen. Paulus sagte nämlich: "Ich stieg nach Jerusalem hinauf und ich hatte Barnabas und Titus bei mir. Ich stieg hinauf - gemäß der Offenbarung - und ich brachte jenen das Evangelium." (Galater 2, 1)

Et qui prius jejunus audierat: "Durum est tibi contra stimulum calcitrare?" (Act. IX. 5.) mira postmodum virtute praesidentis pressus ex verbi pabulo vires obtinuit, et calcem superbiae amisit. Loris quoque Dei non tantum a feritate restringitur, sed quod magis sit mirabile, ad arandum ligatur: ut non solum homines crudelitatis cornu non impetat, sed eorum etiam refectioni semens, aratrum praedicationis trahat. Ipse quippe de evangelizantibus quasi de arantibus dicit: "Debet enim in spe qui arat, arare, et qui triturat, in spe fructus percipiendi." (1 Cor. 9,10) Qui ergo tormenta prius fidelibus irrogaverat, et pro fide postmodum flagella libenter portat; qui scriptis etiam epistolis humilis ac despectus praedicat, qui dudum terribilis impugnabat, profecto bene ligatus sub aratro desudat ad segetem, qui vivebat in campo male a timore liber. De quo recte dicitur: "Aut confringet..." etc.

 

Er, der früher ausgehungert gehört hatte: "Ist es für dich hart, gegen den Stachel zu treten?" (Apostelgeschichte, 9, 5?), hat später in der wunderbaren Tugend des Herrn - gedrängt durch die Nahrung des Wortes - seine Kräfte zurückerhalten und den Stachel des Hochmuts verloren. Er wird durch den Zügel Gottes nicht nur von der Wildheit zurückgehalten, sondern - was noch bewundernswerter ist - zum Pflügen vorgespannt: Er sollte nicht nur die Menschen nicht mehr mit dem Horn seiner Grausamkeit angreifen, sondern auch noch zu ihrer Erholung säen und den Pflug der Verkündigung ziehen. Er selbst sagt über die, die das Evangelium verkünden, wie über die Pflügenden: "Wer pflügt, muss nämlich in der Hoffnung pflügen, und wer drischt, in der Hoffnung dreschen, Frucht zu erhalten." (1 Korinther 9, 10) Er, der zuvor den Gläubigen Martern auferlegt hat, erträgt künftig für den Glauben gerne die Peitsche. In seinen geschriebenen Briefen predigt er voll Demut und Selbstverachtung. Er, der kurz zuvor schreckliche Angriffe führte, vergießt seinen Schweiß - in der Tat gut vor den Pflug gespannt - er, der auf dem Feld schlecht, aber frei von Furcht lebte. Richtig wird von ihm gesagt: " Er wird entweder brechen..." etc. 

 

Jam scilicet Dominus quorumdam mentes intraverat, qui illum veraciter humani generis Redemptorem credebant. Qui tamen cum nequaquam a pristina observatione recederent, cum dura litterae praedicamenta custodirent, eis praedicator egregius dicit: "Si circumcidamini, Christus vobis nihil proderit." (Galat. 5, 2) Qui ergo in humili mente fidelium legis duritiam redarguendo contrivit, qui aliud quam in valle post Dominum glebas fregit, ne videlicet grana seminum quae excussus aratro fidei sulcus cordis exciperet, per custodiam litterae pressa deperirent. 

 

Längst schon hatte der Herr mancher Leute Gesinnung eingenommen, die an ihn als den Erlöser des Menschengeschlechts wahrhaftig glaubten. Damit sie dennoch um nichts von der früheren Achtung zurückweichen, indem sie die harten Verkündigungen des geschriebenen Gesetzes beachten, sagt ihnen der hervorragende Prediger: "Wenn ihr Euch beschneiden lasst, wird euch Christus nichts nützen!" (Galater 5, 2) Wenn er also im demütigen Geist der Gläubigen die Härte des Gesetzes durch Widerlegung aufgelöst - was hat er anderes getan, als im Talgrund hinter dem Herrn die Schollen umgebrochen zu haben, damit nicht die Saatkörner, die die Ackerfurche des Herzens - frei geschlagen vom Pflug des Glaubens - aufnahm, zugrunde gingen, weil sie durch die Überbeachtung des Buchstabens zerquetscht wurden? 

 

De quo adhuc bene subditur: "Nunquid fiduciam habebit?" etc. In rhinocerotis hujus fortitudine fiduciam Deus habuit, quia quanto illam crudelius dura sibi inferentem pertulit, tanto pro se constantius tolerantem adversa praescivit. Cui labores etiam, quos ipse in carne pertulerat, dereliquit, quia conversum illum usque ad imitationem propriae passionis traxit. Unde et per eumdem rhinocerotem dicitur: "Suppleo ea quae desunt passionum Christi in carne mea." (Coloss. 1, 24) 

 

Passend wird über diesem Nashorn bislang auch Folgendes unterstellt: "Ob es wohl das Vertrauen haben wird...?" etc. Gott hat in die Stärke des Nashorns vertraut, weil er, je mehr er es ertragen hat, als es ihm allzu grausam Hartes zufügte, umso mehr vorhergesehen hat, dass es für ihn umso standhafter das Unglück ertragen werde. Ihm überließ er auch die Mühsal, die er selbst im Fleische ertragen hatte, weil er es nach der Bekehrung bis zur Nachahmung der eigenen Passion zog. Deshalb wird über dasselbe Nashorn gesagt: "Ich erstatte an meinem Fleisch, was noch mangelt an den Leiden Christi." (Kolosser, 1, 24) 

 

De quo adhuc subditur: "Nunquid credes ei quod reddat seminantibus, et aream tuam congreget?" Consideremus Paulum, quis fuerit, cum ab ipsa adolescentia lapidantium adjutor existeret, cum alia Ecclesiae loca vastaret, et acceptis epistolis, vastanda alia peteret, cum mors ei fidelium nulla sufficeret, sed semper ad aliorum interitum aliis exstinctis anhelaret; et profecto cognoscemus quia tunc nullus fidelium crederet, quod ad jugum Deus suae fortitudinis feritatem elationis inclinaret. Unde et Ananias voce Dominica hunc ei postquam conversum audivit, extimuit dicens: "Domine, audivi a multis de viro hoc, quanta mala sanctis tuis fecerit in Jerusalem." (Act. 9, 13). 

 

Indes, man unterstellt ihm auch: "Wirst du ihm glauben, was es den Säenden einbringt und in Deine Tenne versammelt?" Betrachten wir Paulus, wer er gewesen ist, als er sich von Jugend an als Helfer der Steiniger erwies, als er die einen Orte der Kirche verwüstete, und auf Briefe hin noch nach anderen, zerstörungswürdigen, suchte, als kein Tod der Gläubigen ihm genügte, sondern er immer beim Tod der Einen noch nach dem Tod der Anderen hechelte. Da werden wir in der Tat erkennen, dass damals keiner der Getreuen glaubte, dass Gott seine wilde Überheblichkeit unter das Joch seiner Stärke beugte. Daher hat auch Ananias, als er hörte, dass dieser durch die Stimme des Herrn zu ihm bekehrt worden sei, voller Furcht gesagt: "Herr, ich habe viele Leuten über diesen Mann sagen hören, wie viel Übles er deinen Heiligen in Jerusalem gebracht hat." (Apostelgeschichte 9, 13) 

 

Qui tamen repente commutatus, ab hoste praedicator efficitur, et in cunctis mundi partibus Redemptoris sui nomen insinuat, supplicia pro veritate tolerat, pati se quae irrogaverat exsultat; alios blandimentis vocat, alios ad fidem terroribus revocat; istis regnum pollicetur coelestis patriae, illis minatur ignes gehennae; hos per auctoritatem corrigit, illos ad viam rectitudinis per humilitatem trahit, atque in omni latere ad manum se sui rectoris inclinat. Et tanta arte Dei aream congregat, quanta illam prius elatione ventilabat.

 

Lauter ist er dennoch plötzlich geworden. Er wird vom Feind zum Verkündiger und empfiehlt in allen Erdteilen den Namen seines Erlösers, erträgt Martern für die Wahrheit, und freut sich noch darüber, das zu erleiden, was er selbst einst als Strafe auferlegt hatte. Die einen ruft er mit Schmeicheleien, die anderen mit Schreckensworten zum Glauben. Diesen verspricht er die Herrschaft der himmlischen Heimat, jenen droht er die Feuer der Hölle an. Diese verbessert er durch seine Autorität, jene zieht er zum richtigen Weg durch seine Demut. Und allseits beugt er sich der Hand seines Lenkers. Und er bringt mit ebenso großer Kunstfertigkeit die Ernte in die Tenne Gottes ein, wie er zuvor mit so großer Überheblichkeit jene in den Wind blies.

 

Sed neque hoc abhorret a Paulo, quod rhinoceros buxei coloris dicitur, et elephantorum ventres cornu ferire perhibetur. Quia enim vivere sub rigore legis assuevit, arctius in illo caeteris custodia uniuscujusque virtutis mollivit. Qui enim per colorem buxeum, nisi abstinentiae pallor exprimitur? Cui ipse se tenaciter adhaerere testatur dicens: "Castigo corpus meum, et in servitutem redigo ne forte cum aliis praedicaverim, ipse reprobus efficiar." (1 Cor. 9, 27)

 

Aber auch dies schreckt nicht vor Paulus zurück, dass dem Rhinozeros die gelbliche Farbe des Buchsbaumes zugesprochen wird, und es die Bäuche der Elefanten mit dem Horn aufzuschlitzen pflegt. Weil Paulus gewohnt war, unter der Strenge des Gesetzes zu leben, hat er kurz und bündig in jenem für alle anderen die Beachtung jeglicher Tugend gemildert. Denn was wird durch die blassgelbe Farbe des Buchsbaumes anderes ausgedrückt, als die Blässe der Enthaltsamkeit? Wie streng er sich daran hält, bezeugt er selbst mit folgenden Worten: "Ich kasteie meinen Körper und zwinge ihn in Knechtschaft, damit ich nicht, wenn ich den anderen predige, selbst verwerflich werde." (1 Korinther 9, 27) 

 

 Qui divinae legis eruditione praeditus, dum aliorum ingluviem redarguit, cornu elephantos in ventrem ferit. In ventremque elephantos percusserat, cum dicebat: "Multi ambulant quos saepe dicebam vobis. Nunc autem flens dico, inimicos crucis Christi. Quorum finis interitus, quorum deus venter est, et gloria in confusione ipsorum." (Philip. 3, 18). Et rursum: "Hujusmodi Christo Domino non serviunt, sed suo ventri." [Rom. 16, 18) Cornu suo igitur rhinocerotus iste non jam homines, sed bestias percutit; quando illas Paulus doctrinae suae fortitudine nequaquam perimendos humiles impetit, sed superbos ventris cultores occidit....

Rammt er doch, der er im göttlichen Gesetz unterrichtet war, den Elefanten sein Horn in den Bauch, wenn er die Völlerei der anderen anprangert. Er hatte es in den Bauch der Elefanten gestoßen, als er sagte: "Viele wandeln einher; ich habe sie Euch oft genannt. Nun aber sage ich unter Tränen: Es sind die Feinde des Kreuzes Christi. Deren Ende ist die Verdammnis, deren Gott ist der Bauch und deren Ruhm liegt in der eigenen Konfusion." (Philipper 3, 18) Und wiederum: "Derartig dienen sie nicht dem Herrn Christus, sondern nur ihrem Bauch." (Römer 16, 18) Mit seinem Horn durchstößt also dieses Rhinozeros nicht mehr Menschen, sondern wilde Tiere. Wenn jene Paulus durch die Kraft seiner Lehre zu erreichen sucht, dann nicht deshalb, um die Demütigen zu beseitigen, sondern um die stolzen Verehrer des eigenen Bauches zu töten..."

 


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