Brief 14: An Bischof G. und den Klerus von Paris

Der Brief fand sich als einziges Manuskript auf dem letzten Folio eines frühmittelalterlichen Codex:

Das Manuskript kam im Jahre 1337 in den Besitz Francesco Petrarcas, der einige Randnotizen hinterließ. Im Jahre 1426 fiel das Werk an die Herzöge von Mailand, die es in der Bibliothek Pavia verwahren ließen. Es enthält auch den persönlichen Briefwechsel des Paares, die Paraklet-Regel, die Apologie und die Briefe des Berengar von Poitiers, die Apologia Universis sowie Abaelards Soliloquium.

Die Editio princeps von Duchesne und d'Amboise verwendete als Druckvorlage nicht dieses, sondern ein weiteres, heute verloren gegangenes Manuskript.

Beide Fassungen sind nicht identisch, sie scheinen auf einen gemeinsamen Archetypus zurückzugehen.

Ein weiteres Manuskript  - Vatikan MS lat. 9867-  stellt eine Textsammlung der Mauristen aus dem 18. Jahrhundert dar und basiert auf der ersten Druckfassung von 1616. Es trägt somit nichts zur Textanalyse bei.

Die unten stehende Fassung orientiert sich an der einzigen kritischen Edition des Briefes: Smits, E.R., Abelard, Letters IX -XIV, Groningen, 1983.

Dieser Brief Abaelards an Bischof G. von Paris ist Teil eines anderweitig nicht erhaltenen Schriftwechsels anlässlich der Kontroverse mit seinem früheren Lehrer und späteren Erzfeind Roscelin von Compiègne. Diese Auseinandersetzung soll an dieser Stelle nicht weiter kommentiert werden. Siehe dazu auch: Konzil von Soissons und: F. Picavet: Roscelin, philosophe et théologien d'après la légende et d'après l'histoire. Das Schreiben wurde vermutlich im Jahre 1120 verfasst und an Bischof Gilbert, 1116 - 25. Jan. 1124, gerichtet. Entgegen früheren Verlautbarungen ist es aber auch nicht ganz ausgeschlossen, dass es schon vor 1116 an Bischof Galon, 1104 - 23. Febr. 1116, gerichtet worden war. Siehe Buch: Heloïsas Herkunft: Hersindis Mater, Seite 237.

[folio 50r] G. Dei gracia Parisiace sedis episcopo unaque uenerabili eiusdem ecclesie clero P. debite reuerencie subiectionem sempiternam.

Relatum est nobis a quibusdam discipulorum nostrorum superuenientibus quod elatus ille et semper inflatus catholice fidei hostis antiqus, cuius heresis detestabilis tres deos confiteri, immo et predicare Suessionensi Concilio a catholicis patribus conuicta est atque insuper exilio punita, multas in me contumelias et minas euomuerit, uiso opusculo quodam nostro De Fide Sancte Trinitatis, maxime aduersus heresim prefatam qua ipse infamis est, conscripto. Nunciatum insuper nobis est a quodam discipulo nostro cui inde locutus est, quod uos tunc absentem exspectaret, ut uobis in illo opusculo quasdam hereses me inseruisse monstraret, et uos quoque contra me, sicut et omnes quos nititur, commoueret. Quodsi ita est ut in hoc quoque nunc ille persistat, precamur uos, athletas Domini et fidei sacre defensores, ut statute loco et tempore conuenienti, me et illum conuocetis et coram catholicis et discretis uiris quos uobiscum prouideatis, quid ille aduersum me absentem musitet, audiatur et debite correccioni subiaceat uel ille de tanti criminis inposicione uel ego de tanta scribendi presumpcione. Interim autem Deo gracias refero quod summum Dei inimicum et fidei labefactorem in fide contrarium si perfero et pro fide qua stamus dimicare compellor, et quod numero bonorum hominum iam esse uideor ex eius infestacione, quem solis bonis semper constat esse infestum, cuius tam uita quam disciplina omnibus est manifesta. Hic contra egregium illum preconem Christi Robertum de Arbrosello contumacem ausus est epistolam confingere, et contra illum magnificum ecclesie doctorem Anselmum Canturiensem archiepiscopum adeo per contumelias exarsit, ut ad regis Anglici imperium ab Anglia turpiter impudens eius contumacia sit eiecta et uix cum uita euaserit. Vult enim infamie participem habere, et ut per infamiam bonorum suam consoletur infamiam, nec nisi bonum odit qui bonus esse non sustinet. Qui ob intemperanciam arrogancie sue ab utroque regno in quo conuersatus est, tam Anglorum scilicet quam Francorum, cum summo dedecore expulsus est, et in ipsa cuius pudore canonicus dicitur, beati Martini ecclesia non nuncquam, ut aiunt, a canonicis uerberatus, morem solitum seruauerit. Nomine designari quis iste sit, superuacaneum duxi, quem singularis infamia infidelitatis et uite eius singulariter notabilem facit. Hic sicut pseudodialecticus ita et pseudochristianus cum in Dialectica sua nullam rem, sed solam uocem partes habere astruat, ita et diuinam paginam impudenter peruertit, ut eo loco quo dicitur Dominus partem piscis assi comedisse, partem huius uocis que est piscis assi, non partem rei intelligere cogatur. Quid igitur mirum, si is qui in celum os ponere consueuit, in terris insaniat et qui Dominum persequitur, membris eius deroget et nemini parcat qui nec sibi parcere potest.

Valete.

[folio 50r] An Gilbert, Bischof von Gottes Gnaden in Paris, und gleichzeitig an den ehrwürdigen Pariser Klerus derselben Kirche: Ewige Unterwerfung unter die geschuldete Ehrerbietung!

Es wurde uns von einigen unserer Schüler berichtet, dass jener hochmütige und immer aufgeblasene alte Feind des katholischen Glaubens, dessen verabscheuungswürdige Ketzerei, drei Götter zu bekennen, ja sogar öffentlich zu predigen, durch das Konzil von Soissons von den Kirchvätern widerlegt und obendrein mit Exil bestraft worden ist, viele Schmähreden und Drohungen gegen mich ausgestoßen hat, nachdem er eines unserer Werke "Über den Glauben an die Heilige Dreifaltigkeit" eingesehen hatte, das hauptsächlich gegen die erwähnte Häresie, weswegen gerade er ruchlos ist, verfasst worden ist. Obendrein wurde uns von einem unserer Schüler gemeldet, mit dem er gesprochen hat, dass er auf Euch, der Ihr damals abwesend wart, warte, um Euch zu zeigen, dass ich meinerseits in jenem Werk bestimmte Ketzereien aufgeführt habe, und um Euch sowie auch alle, auf welche er sich stützt, gegen mich aufzuwiegeln. Weil jener damit auch jetzt nicht aufhört, bitten wir Euch, die Streiter des Herrn und Verteidiger des Heiligen Glaubens, dass Ihr passenden Ort und Zeitpunkt festlegt und mich und jenen zusammenruft, und zwar vor katholischen und ausgesuchten Männern, die ihr zusammen mit Euch auserkort. Sie sollen hören, was jener gegen mich in meiner Abwesenheit murmelt. Benötigten Korrekturen wollen wir uns unterziehen: und zwar jener, was die Behauptung eines so großen Vorwurfs betrifft, und ich meinerseits, was die Anmaßung, solches zu schreiben, betrifft. Inzwischen danke ich Gott, dass ich gezwungen werde, den höchsten Feind Gottes und den Erschütterer des Glaubens zu bekämpfen - im Glauben, falls ich das Glaubenswidrige ertrage, und durch den Glauben, in dem wir stehen. Und dass ich durch die Vielzahl guter Menschen schon dessen Anfeindung entzogen scheine, der bekanntlich immer allein die Guten angefeindet hat, ist durch dessen Leben wie Lehre für alle leicht durchschaubar. Dieser hat gewagt, gegen jenen hervorragenden und leuchtenden Herold Christi, Robert von Arbrissel, ein Pamphlet zu verfassen, und er hat gegen jenen großartigen Kirchenlehrer und Erzbischof Anselm von Canterbury so sehr Schmähungen ausgestoßen, dass er auf Befehl des englischen Königs wegen seiner Unklugheit und Widerborstigkeit schändlich aus England verstoßen und damals kaum mit dem Leben davongekommen ist. Er zieht ihn in den Schmutz, um sich durch die Schande der Guten über die eigene Ruchlosigkeit hinwegzutrösten. Den Guten hasst nur, wer selbst gut zu sein nicht aushält. Er ist wegen seiner maßlosen Arroganz aus beiden Königreichen, in denen er sich aufgehalten hat, ebenso England wie Frankreich, mit höchster Schande vertrieben worden, und selbst in der Kirche des Heiligen Martin, zu deren Scham er sich Kanonikus nennt, soll er nie, selbst auf Seitenhiebe der Kanoniker hin, die gewohnte Sitte bewahrt haben. Namentlich zu nennen, wer jener ist, habe ich für überflüssig gehalten, da ihn ja die einzigartige Schmach seines glaubensabtrünnigen Lebens einmalig bekannt gemacht hat. Dieser ist Pseudodialektiker ebenso wie Pseudochrist. Wenn er in seiner Dialektik meint, dass keine Realität teilbar sei, so verdreht er das göttliche Zeugnis: Seiner Lehre nach ist man gezwungen, an der Schriftstelle, an der der Herr einen Teil eines gebratenen Fisches gegessen hat, einen Teil dieses Wortes "gebratener Fisch", nicht einen Teil der Sache selbst zu begreifen. Kein Wunder also, wenn der, der sein Gesicht in den Himmel zu heben pflegt, auf der Erde toll wird, und der, der den Herrn verfolgt, all seine Glieder außer Kraft setzt, und niemanden schont, wo er sich doch selbst nicht verschonen kann.

Lebt wohl!


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