Cluny

In einem bewaldeten Tal der Grafschaft Mâcon wurde am 11. September 910 die Abtei Cluny gegründet. Neunhundert Jahre später, fast auf den Tag genau, wurde die majestätische Kirche in die Luft gesprengt - Größe und Zerfall eines Klosters, dem man den Beinamen Zentrum der Welt oder das zweite Rom verliehen hatte, Herrlichkeit und Zerstörung einer Abteikirche, die bis zum Wiederaufbau von Sankt-Peter im Vatikan die größte Kirche der Christenheit war. Ein Grund für die enorme Machtausdehnung des Klosters war die Gründungscharta, die Cluny außergewöhnliche Garantien zugestand; hinzu kam das politisch-religiöse Umfeld, das seine Blüte begünstigte. Der Abt, der im 12. Jahrhundert wie ein Monarch über ungefähr 10.000 Mönche herrschte, war sein eigener Herr. Er musste sich niemandem unterwerfen, weder dem Bischof noch dem König, denn das Kloster und seine Güter standen unter dem Schutz des Papstes. Diese Güter brachten beträchtliche Einnahmen, denn die Wüste, die dem Kloster zu Anbauzwecken geschenkt worden war, war in Wirklichkeit ein ehemaliges Landgut mit einigen Bauernhütten. Das Gebiet, das von einem Fluss durchzogen wurde, umfasste Felder, Weinberge, Gemüsebeete, Wald und Mühlen.

Da die Mönche nicht zu harter Feldarbeit herangezogen wurden, konnten sie um so besser der Reform des Benedikt von Aniane folgen, der das Gebet wieder in den Mittelpunkt gestellt hatte. Die Charta verpflichtete die Mönche, Bedürftige und Pilger täglich zu unterstützen, eine Arbeit, die sich schnell zur wichtigsten Aktivität des Ordens entwickelte. Im 11. Jahrhundert vervielfältigte die Abtei an den Pilgerstraßen und -orten ihre Priorate mit Nachtquartier, um so den Gotteswanderern den ohnehin beschwerlichen Weg zu erleichtern und gleichzeitig die wachsende Religiosität im Abendland zu fördern. Der Orden dehnte sich polypenartig bis nach Nordspanien aus, drängte spirituell und ökonomisch die muslimische Bevölkerung in den Süden zurück und half beim Neuaufbau der kirchlichen Strukturen.

Cluny passte sich im religiösen und wirtschaftlichen Leben dem entstehenden Feudalismus an. Das verhalf dem Orden zu seiner raschen Blüte, besiegelte allerdings auch später seinen Untergang. Mit diplomatischem Geschick gelang es den Mönchen, Vertrauensbeziehungen zu den Adeligen der Provinzen und den Großen des Abendlandes zu entwickeln und aufrecht zu erhalten.

Diese schätzten die Neutralität des Klosters und bewiesen dies mit großzügigen Spenden. In den Konflikten, die das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, das Königreich Frankreich, das Papsttum und die Lehensherrn miteinander austrugen, wurden die Äbte von Cluny als Schiedsmänner berufen, deren Leben und Ansehen eng mit dem Orden verknüpft war. Von 954 bis 1109 führten die Äbte Mayeul, Odilo und Hugo - jeder von ihnen war ein halbes Jahrhundert im Amt - die Kongregation zu ihrem Höhepunkt.

Cluny besaß das bedeutendste Geldvermögen in Europa und herrschte über 2.000 Besitztümer, die sich von der Lombardei bis nach Schottland erstreckten. Es besaß auch einen unermesslichen Schatz sakraler Goldschmiedearbeiten. Als die Umstände es erforderten, zögerte man nicht, daraus Münzen zu gießen. Das unglaublich hohe Lösegeld, das von den Sarazenen für Abt Mayeul gefordert wurde, ist zum Beispiel so aufgebracht worden.

Clunys Macht bewies sich nicht zuletzt in der unvergleichlichen intellektuellen Neugier, die diese Elitegemeinschaft beseelte. Dort wurden die Erneuerungen der Wissenschaften, das Studium der antiken Kulturen und die Übersetzung des Korans in die lateinische Sprache toleriert und gefördert. Seinen Einfluss auf die romanische Welt beweist das Kloster auch im Bereich der Architektur und Plastik. Der Stil der Abteikirchen Cluny II und Cluny III, wie sie der Architekt und Archäologe K. Conant nannte, der ihre Überreste über Jahrzehnte studierte, ist fast nur in der näheren Umgebung wieder zu finden. Die Ideen im Bereich der Raumordnung, der Monumentalität und des prunkvollen, figürlichen Dekors hatten aber sehr weitreichenden Einfluss. Das majestätische Cluny III, das 187 Meter lang war, umfasste fünf Schiffe und zwei Querschiffe, von denen heute nur noch letztere teilweise und als kümmerliche Überreste erhalten sind. Nur der majestätische achteckige Glockenturm, der auch Weihwasserturm - Eau-Benite - genannt wird, erhebt sich noch stolz und erinnert an die vergangene Pracht.

Nach der Verurteilung seiner Schriften durch das Konzil von Sens am 25. Mai 1141 und seiner endgültigen Verurteilung zu Klosterhaft und ewigem Schweigen durch den Papst am 16. Juli 1141  wurde Peter Abaelard überraschend von Großabt Petrus Venerabilis in Cluny aufgenommen und stand fortan - bis zu seinem Tode - unter dessen Schutz.

In Cluny befindet sich noch heute ein Naturdenkmal, welches der Tradition nach mit Abaelards Aufenthalt in Cluny assoziiert ist: Le tilleul d'Abeilard. Mehr darüber erfährt man hier.

Zitate

Magister Petrus... war neulich, als er aus Franzia kam, auf der Durchreise in Cluny ... Petrus Venerabilis an Papst Innozenz II.

Inzwischen hat er... sich in Eurem Cluny eine dauerhafte Bleibe erwählt... Petrus Venerabilis an Papst Innozenz II.

le tilleul d'Abélard?Man zeigt in Cluny eine mehrhundertjährige Linde, deren mächtiger Stamm die Allee abschließt, die sich gegenüber dem Getreidespeicher öffnet; er ist einer der wenigen Überreste der berühmten Abtei, die am Beginn des 19. Jhd. (1798 - 1823) von den Immobilienhändlern zerstört wurde, die sie während der französischen Revolution erworben hatten, um ihre Mauersteine zu verkaufen... Régine Pernoud, Heloïse und Abaelard.

Man zeigt noch immer am Ende einer weiten Allee, zu Füßen der von Türmen flankierten Umfassungsmauer des Klosters, am Rande weiter, baumgesäumter Wiesen, beim Plätschern des Flüsschens und beim Rauschen des Windes im Schilf eines vertrockneten Teiches, eine riesige Linde, so alt wie die Türme des Klosters, in deren Schatten Abaelard - das Gesicht zum Paraklet gewandt - einst Platz genommen und geträumt hat. Voller Stolz, die Gastfreundschaft ihres Klosters diesem berühmten Mann des 11. Jahrhunderts gewährt zu haben, haben die Mönche diese Überlieferung bewahrt. Später hat die französische Revolution, die so vieles beseitigt hat, diese Linde und einen oder zwei der Türme der Basilika verschont. Die letzten Mönche haben die Geschichte den Bewohnern der Stadt erzählt, und diese wiederum den Besuchern. Ich selbst besitze - zu Füßen einer dreihundertjährigen Linde in meinem Garten von Saint-Point - die graue Bank - wohlklingend wie eine Glocke - auf welcher Abaelard gemäß der Überlieferung unter der Linde von Cluny Platz genommen hat. Ich habe auch einen großen Tisch aus demselben Stein dorthin bringen lassen, auf welchem sein Kopf ruhte, wenn er seine Hymnen ersann oder sein Unglück oder seine Liebe an sich vorüberziehen ließ... Alphonse Lamartine, Vies de Quelques hommes illustres: Heloise, Abélard, Paris, 1863.

Von Sens führte die alte Römerstraße in den Süden über Auxerre und Autun nach Chalon-sur-Saône. Von dort ging es die Via Agrippa flussabwärts über Lyon nach Vienne an der Rhone, zu Pferd, zu Esel, zu Fuß oder zu Schiff auf der Saône und Rhone... Der Seeweg war der bequemste Weg nach Rom, wenn denn der Ausdruck »bequem« nicht völlig falsche Vorstellungen erweckt. Jede Reise im Mittelalter war mühsam und gefährlich... Welchen Weg Abaelard gewählt hatte, wissen wir nicht. Ehe er die erste Weggabelung erreicht hatte, war seine Reise zu Ende, Endstation Cluny, dessen Abt war Petrus Venerabilis...

Cluny war eine geistige Macht im frühen Hochmittelalter und deswegen - so etwas hat es in der Geschichte wirklich gegeben - eine politische und eine ökonomische Macht. Nur fünf große Äbte in zwei Jahrhunderten hatten dieses Kloster an die Spitze kirchlicher Geltung in Europa geführt. Der erste Orden wurde organisiert, die Kirchenreform eingeleitet, durch die Exemption von der Bischofsgewalt die päpstliche Zentralisation gefördert, die Anfänge des ökonomischen Rechnungswesens in dem immer größer werdenden Orden eingeführt, von der Kurie übernommen und von dort durch die weltlichen Mächte. Jetzt, als Abaelard an die Klosterpforte von Cluny klopfte, war Cluny in Europa nicht mehr konkurrenzlos, hatte es die Höhe erreicht, den Abstieg begonnen. Seit 18 Jahren residierte als Großabt von Cluny Petrus Venerabilis (um 1094 bis 1156), der letzte der großen Äbte. Er gab Abaelard die Heimstatt, schuf ihm Rahmen der Ruhe, ermöglichte ein Sterben in Würde...  Adalbert Podlech, Abaelard und Heloïsa.


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