Die Mönche von Saint-Gildas

Saint-Gildas auf der Halbinsel Rhuys am Golf von Morbihan war eine altehrwürdige Abtei, die schon im Jahre 536 durch den keltischen Mönch Gildas nach seiner Vertreibung aus Britannien gegründet worden war. Seit dem Jahre 815 wurde in diesem Kloster am Atlantik die benediktinische Regel vollzogen und die römische Tonsur getragen. Nach zwischenzeitlicher Vertreibung der Mönche restaurierte der Mönch Felix seit dem Jahre 1008 das Kloster. Im Jahre 1032 wurde die Abteikirche von Bischof Judicael von Vannes feierlich geweiht. Nach dem Tode von Felix im Jahre 1038 muss die Abtei jedoch wieder heruntergekommen sein: Denn nachdem Abaelard im Jahre 1125 sich in einer seelischen Befreiungsreaktion zum Abt dieses Klosters hatte wählen lassen, ließ er in seiner Historia Calamitatum kein gutes Haar an den Mönchen von Saint-Gildas:
Während ich nun unausgesetzt von solchen Seelenängsten gequält wurde und mir als letztes Mittel nur noch dieser Plan übrig blieb, bei den Feinden Christi zu Christus zu flüchten, da ergriff ich eine Gelegenheit, mit der ich diesen Anschlägen ein wenig ausweichen zu können glaubte - und geriet in die Hände von Christen und dazu noch Mönchen, die bei weitem unbändiger und schlechter waren als die Heiden. In der Bretagne, im Bistum Vannes, lag ein Kloster des Hl. Gildas von Rhuys. Dieses war durch den Tod seines Oberhirten verwaist, und die einstimmige Wahl der Mönche rief mich mit Genehmigung des Landesfürsten an diese Stelle und setzte dies auch bei meinem Abt und den Brüdern leicht durch. So trieb mich die Feindschaft der Franken nach dem Westen wie einst den Hieronymus die der Römer nach dem Osten. Denn niemals wäre ich, bei Gott, auf jenen Vorschlag eingegangen, wenn ich nicht gehofft hätte, so den unausgesetzten Demütigungen, die ich zu leiden hatte, einigermaßen auszuweichen. Das Land war mir fremd, die Landessprache mir unbekannt, die schändliche und zuchtlose Lebensweise der dortigen Mönche fast allen sattsam bekannt, die übrige Bevölkerung roh und unkultiviert. Wie einer, der vor dem drohenden Schwert sich erschrocken in den Abgrund stürzt, und, um für den Augenblick den einen Tod hinauszuzögern, in den ändern läuft, so habe ich mich aus einer Gefahr wissentlich in eine andere begeben. Dort, an des Ozeans donnernden Wogen, wo das Ende der Erde mir keine weitere Flucht gewährte, da wiederholte ich oft in meinen Gebeten jenes Wort: "Von den Enden der Erde habe ich zu dir geschrieen, da meine Seele in Ängsten war." (ps. 77,2 ff) Ich glaube, es ist niemandem verborgen geblieben, mit welchem Kummer jene zuchtlose Herde von Mönchen, deren Leitung ich übernommen hatte, Tag und Nacht mein Herz quälte, wenn ich die Gefahren für Leib und Leben erwog. Es stand mir zweifellos fest, dass ich nicht leben könne, wenn ich sie zu dem kanonischen Leben, dem sie sich doch geweiht hatten, zu zwingen versuchen würde, andererseits war ich zu verdammen, wenn ich in dieser Hinsicht nicht alles tat, was ich konnte. Die Abtei selbst hatte ein in jenem Land unumschränkt mächtiger Tyrann - indem er aus den ungeordneten Verhältnissen des Klosters die Gelegenheit dazu erhielt - sich bereits so lange unterjocht, dass er sich die Nutznießung des gesamten Klostergebietes angeeignet hatte und von den Mönchen schwerere Abgaben eintrieb als selbst von den steuerpflichtigen Juden. Die Mönche bedrängten mich fortwährend mit ihren täglichen Bedürfnissen, denn sie besaßen nichts gemeinschaftlich, wovon ich ihnen etwas hätte hergeben können, sondern es unterhielt jeder von seinem eigenen alten Geldbeutel sich und seine Konkubine mit Söhnen und Töchtern. Sie freuten sich, dass ich mich darüber bekümmerte, stahlen sogar selbst und trugen herbei, was sie konnten, damit ich in der Verwaltung versagte und so gezwungen wäre, entweder von der Disziplin abzurücken oder mich überhaupt zurückzuziehen. Da aber das ganze Land in seiner Barbarei ebenso gesetz- wie zügellos war, gab es keine Menschen, in deren Beistand ich hätte flüchten können: dem Treiben aller stand ich gleich fremd gegenüber. Draußen waren es der Fürst und seine Gefolgschaft, die mich fortwährend bedrängten, drinnen wurde ich unaufhörlich von den Brüdern angefeindet, so dass das Geschehen selbst beweist, wie jenes Wort des Apostels auf mich besonders zutrifft: "Draußen Streit, drinnen Furcht." (2. Kor. 7,5) Ich betrachtete und betrauerte, ein wie nutzloses und elendes Leben ich führte, wie unfruchtbar ebenso für mich wie für andere ich lebe, und wie viel ich früher bei den Klerikern ausrichtete, und dass ich jetzt, nachdem ich sie wegen der Mönche entlassen hatte, weder an ihnen noch an den Mönchen irgendwelche Früchte erkenne, und wie erfolglos ich in all meinen Vorhaben und Versuchen würde, so dass man mir in allem mit vollem Recht vorwerfen müsste: "Dieser Mensch hob an zu bauen und kann es nicht hinausführen." (Lk. 19,30) Ich verzweifelte tief, wenn ich bedachte, was ich geflohen, und wenn ich erwog, in was ich mich gestürzt hatte. Meine früheren Missgeschicke achtete ich für nichts, und seufzend musste ich mir oftmals selbst sagen: "Ich leide nur, was ich verdient habe; den Parakleten, d. h. den Tröster, habe ich verlassen und mich in die sichere Trostlosigkeit hineingedrängt; Drohungen suchte ich zu meiden und in offenbare Gefahren habe ich mich geflüchtet." Das aber schmerzte mich am meisten, daß ich in der verlassenen Kapelle für eine gottesdienstliche Feier nicht so, wie es sich gehört hätte, sorgen konnte, da die Dürftigkeit jener Gegend kaum für die Bedürfnisse eines Menschen genügte. Allein der wahre Tröster selbst gab mir, dem zutiefst Trostlosen, den echten Trost und sorgte für sein eigenes Haus, wie es sich ziemte... Abaelard, Historia Calamitatum

Abaelard steckte in tiefster Depression, als ihn im Jahre 1129 eine beunruhigende Nachricht aus dem fernen Franzien erreichte. Abt Suger von Saint-Denis hatte die Nonnen von Argenteuil vertrieben. Hilflos irrten sie unter der Führung ihrer Priorin Heloïsa, seiner einstigen Geliebten und späteren Ehefrau, umher. Sofort machte er sich auf den Weg. Er fand sie und schenkte den Nonnen sein verlassenes Besitztum am Ardusson, den Parakleten:

Da ich dies oft bei mir durchdachte, hatte ich mir schließlich vorgenommen, für die Schwestern im Paraklet nach Möglichkeit zu sorgen und mich ihrer anzunehmen; auch, je tiefer sie mich verehrten, auf diese Weise ihren Bedürfnissen mehr nachzukommen. Gerade damals entmutigte mich die Verfolgung meiner eigenen Söhne häufiger und heftiger als in früheren Zeiten die meiner Brüder; und so flüchtete ich mich aus der Drangsal dieses Sturmes zu den Schwestern wie in einen stillen Hafen, um dort ein wenig Atem zu schöpfen, da ich an den Mönchen überhaupt keinen, an ihnen zumindest einigen Ertrag erzielte. Und je notwendiger dies für ihre Schwachheit war, desto segensreicher sollte es für mich selbst werden. Aber der Satan hat mich damals gehindert, einen Ort zu finden, wo ich ausruhen oder auch nur leben könnte; der Fluch des Kain lastete auf mir: unstet und flüchtig umherzuirren von Ort zu Ort (l. Mose 4,14.). Ich bin der Mann, den - wie ich schon sagte - "draußen Streit, drinnen Furcht" unablässig quälen, ja, vielmehr beides zugleich innen und außen. Streit und Furcht. Und die Verfolgung meiner Söhne wütete viel gefährlicher und viel häufiger gegen mich als die meiner Feinde. Denn sie habe ich immer leibhaftig um mich, und ihre Anschläge ertrage ich ständig. Die Gewalttätigkeit meiner Feinde - eine Gefahr für Leib und Leben - sehe ich schon, wenn ich aus meinem Kloster heraustrete; im Kloster aber ertrage ich unablässig die so gewalttätigen wie heimtückischen Angriffe meiner Söhne, d. h. der Mönche, die mir als Abt, d. h. Vater, anvertraut sind. 0 wie oft suchten sie mich durch Gift zu beseitigen, wie man es dem Heiligen Benedikt bereitet hat. Derselbe Grund, aus dem jener seine verworfenen Söhne verließ, könnte auch mich offenbar dazu treiben, nach dem Beispiel eines solchen Vaters mich nicht der sicheren Gefahr auszusetzen und mich nicht eher als leichtsinniger Versucher Gottes denn als ein Liebender, ja sogar als Selbstmörder zu zeigen. Da ich vor derartigen täglichen Nachstellungen ihrerseits während der Bedienung mit Speise und Trank, so weit ich konnte, auf der Hut war, so suchten sie mich sogar während des Hochamts am Altar zu vergiften, indem sie mir Gift in den Kelch mischten. Als ich eines Tages nach Nantes ging, um den Grafen in seiner Krankheit zu besuchen und bei einem meiner leiblichen Brüder zu Gaste war, so versuchten sie, mich durch einen Diener aus meinem eigenen Gefolge vergiften zu lassen, da sie offenbar meinten, vor einem solchen Anschlag sei ich weniger auf der Hut. Durch göttliche Fügung aber geschah es, dass ich von der Speise, die man mir vorsetzte, nichts anrührte, während ein Klosterbruder, den ich mitgenommen hatte, aus Unkenntnis davon aß und auf der Stelle tot niederfiel, worauf jener Diener, der dies gewagt hatte, durch sein Gewissen und durch den Tatsachenbeweis erschreckt, die Flucht ergriff. Da sich die Ruchlosigkeit meiner Mönche allen offenbarte, begann ich von jetzt an ganz offen, ihre Fallen zu vermeiden, so gut ich konnte: Ich entfernte mich aus der Abtei und hielt mich mit wenigen Getreuen in kleinen Zellen auf. Hatten jene erfahren, dass ich irgendwohin gehen müsse, so stellten sie mit barem Geld gedungene Mörder auf Wege und Stege, um mich zu töten. Während ich in solchen Gefahren schwebte, traf mich auch noch die Hand des Herrn schwer: Als ich eines Tages zufällig vom Pferd stürzte, brach sie mir einen Halswirbel, und dieser Bruch beugte und schwächte mich weit mehr als meine einstige Verletzung. Von Zeit zu Zeit versuchte ich die unbändige Zuchtlosigkeit der Mönche durch die Exkommunikation zu zügeln, und einige von ihnen, die ich am meisten zu fürchten hatte, brachte ich dazu, dass sie mir durch einen feierlichen Eid vor Zeugen versprachen, die Abtei für immer zu räumen und mich in keiner Weise mehr zu beunruhigen. Allein sie brachen ganz offen und in frechster Weise Wort und Eidschwur, und erst als Papst Innozenz deswegen einen besonderen Legaten mit einer Vollmacht entsandte, brachte man sie dazu, dass sie in Gegenwart des Grafen und der Bischöfe dasselbe noch einmal schworen und vieles andere. Aber trotz alledem gaben sie noch immer keine Ruhe. Erst vor kurzem noch, als diese Menschen, die ich erwähnte, vertrieben waren, und ich in die Klostergemeinschaft zurückkehrte, um mich den Brüdern anzuvertrauen, die ich weniger verdächtigte, fand ich die Zurückgebliebenen noch schlimmer vor als die anderen. Sie gingen mir allerdings nicht mit Gift, sondern mit dem Schwert an die Gurgel, und ich bin ihnen nur unter dem Schutz eines adligen Herrn mit Mühe und Not entronnen. Und selbst jetzt noch schwebt diese Gefahr über mir, und Tag für Tag sehe ich das Schwert über meinem Nacken hängen, so dass ich kaum bei den Mahlzeiten aufatme, wie man über jenen Mann lesen kann, der die Macht und die zusammengerafften Schätze des Tyrannen Dionysius für das höchste Glück hielt und durch den Anblick eines Schwertes, das an einem Faden verborgen über ihm hing, darüber belehrt wurde, was für ein Glück irdischer Macht auf dem Fuße folgt. Dies erfahre ich auch jetzt noch unablässig an mir selbst, der ich, vom armen Mönch zum Abt befördert, um so unglücklicher wurde, je reicher ich war, damit auch durch mein Beispiel der Ehrgeiz derer, die aus eigenem Antrieb danach streben, gezügelt werde... Abaelard, Historia Calamitatum

Im Jahre 1136 floh Abaelard endgültig aus der Abtei. Nunmehr schon zum zweiten Mal war er am realen Klosterleben gescheitert. Die Episode in Saint-Gildas lag hinter ihm...


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