Fulbert

Über den Kanonikus Fulbert erfährt man Vieles von Abaelard selbst - in seiner Historia Calamitatum. Darüber hinaus gibt es weitere, bislang kaum beachtete Quellen, die ein durchaus diffenziertes Lebensbild des Kanonikers ermöglichen - zumindest in groben Zügen. So hat eigene Forschung einige Details über Fulbert, seine Herkunft und sein Verbleiben in Paris zu Tage gefördert. Siehe dazu folgende Buch-Veröffentlichung Heloisas Herkunft: Hersindis Mater, erschienen im Mai 2001 im Olzog-Verlag München. Eine weitere Arbeit findet sich auch in einer Online-Version innerhalb dieser Seiten: Auf den Spuren eines großen Philosophen: Peter Abaelard in Paris.

An dieser Stelle soll eine kurze Lebensbeschreibung genügen - mit besonderer Berücksichtigung der Affäre Abaelard, aber ohne Angabe von Quellen oder nähere Begründungen.

Heloïsas Onkel Fulbert war Domkanoniker von Notre-Dame. Als Subdiakon vom Titel Saint-Christophe bekleidete er als einer von elf Subdiakonen insgesamt das niedrigste Amt der höheren Weihen, welches ihn zu Ehelosigkeit oder - im Falle vorheriger Verheiratung - wenigstens zur absoluten Enthaltsamkeit verpflichtete. Damit verlangte der Kirchenkanon jedoch nicht von ihm, dass eine frühere Ehe aufgelöst werden musste. Dennoch ist über eine entsprechende Verheiratung Fulberts nichts bekannt. In Abaelards Lebensbeschreibung findet sich darüber nicht der geringste Hinweis. Fulbert war Heloïsas Onkel mütterlicherseits. Über die Familie Fulberts und Heloïsas ist wenig bekannt. Vermutlich stammte sie aus dem Anjou. Heloïsas Mutter könnte Hersendis von Champagne gewesen sein, die spätere erste Priorin von Fontevraud. Fulbert erwarb nach 1097, aber noch vor 1102, unter Protektion des Hauses Montfort die begehrte Pfründe am Dom von Paris. Es war Bischof Wilhelm von Montfort, der ihn ins Domkapitel aufnahm - vermutlich auf Anraten seiner Schwester Bertrada von Montfort, der zweiten Frau König Philipps I., die ihrerseits mit Hersendis von Champagne befreundet war.

Bei der Kirche Notre-Dame handelte es sich nicht um die heutige Kathedrale, deren Erbauung erst ein Jahr vor dem Tode Heloïsas, im Jahre 1163, begann, sondern um einen romanischen Vorgängerbau. Um sie herum gruppierte sich eine kleine klerikale Stadt. Das eigentliche Cloître oder Klaustrum nahm das äußerste Ende der Pariser Seine-Insel nordöstlich des Domes ein, mit weniger als 40 stiftsherrlichen Anwesen. Fulberts Domizil lag jedoch entgegen viel geäußerter Ansicht nicht in diesem Stiftsherrenhof, sondern im belebten Innenstadtbezirk, der Cité oder civitas - vor den Toren der Kathedrale, in unmittelbarer Nähe des Parvis Notre-Dame und der Hospitalkirche Saint-Christophe, über deren Subdiakonat Fulbert ins Domkapitel eingetreten war. Hier lag auch auch der berühmte Dialektik-Lehrstuhl Wilhelms von Champeaux, den später Abaelard übernahm. Der Lehrstuhl war nicht nur wegen seines wissenschaftlichen Renommees sehr attraktiv, sondern auch aus ökonomischen Gründen: Seit 1099 war er mit der Stiftung für die mittellosen, aber begabten Kleriker von Paris assoziiert und deshalb "krisenfest" dotiert.

Das Haus am Quai aux Fleurs in Paris, welches heute den Interessenten als Maison de Fulbert gezeigt wird, hat mit der Geschichte Heloïsas und Abaelards nicht das Geringste zu tun; dass hier Fulbert und Heloïsa einst lebten, ist nur eine romantische Legende. Ebenso wenig lag hier die so genannte, im Zusammenhang mit Abaelard immer falsch apostrophierte Domschule von Paris, deren Gründung erst in die Zeit nach Abaelards erstem Aufenthalt in Paris fiel, in das Jahr 1127. 

Fulbert lebte also ganz woanders, im Kanoniker-Viertel extra muros - mit seiner Nichte Heloïsa, die er wohl zur Zeit ihrer Pubertät aus dem Kloster Argenteuil zu sich nach Paris geholt hatte. Für einige frühere Historiker erschien es erstaunlich, dass sich ein Onkel derartig um die Erziehung seiner Nichte kümmerte; man vermutete, dass Heloïsas Eltern bereits gestorben waren, zum Teil sogar, dass Fulbert ihr leiblicher Vater war. Die letztere Angabe ist nach den eigenen Recherchen in keiner Weise haltbar. Nichtsdestotrotz stand die Großzügigkeit Fulberts seiner Nichte gegenüber in einem gewissen Gegensatz zu den Attributen, die ihm Abaelard in der Historia Calamitatum zuschrieb, vor allem zu seinem ausgemachten Geiz:

Nun war Fulbert ein großer Geizhals, dabei aber doch darauf bedacht, dass seine Nichte in ihrer gelehrten Bildung immer weiter Fortschritte mache...
Heloïsa war ein sehr gelehriges Mädchen, dessen Bildung bereits damals über die Krondomäne hinaus Aufsehen erregt hatte. Sie sollte also ab ca. 1116 durch die Dienste Peter Abaelards die Ausbildung fortgeführt bekommen, die schon vorher in Argenteuil begonnen worden war.
Ich trat - durch die Vermittlung einiger Freunde ihres Onkels - mit diesem in Beziehung. Sie bewegten ihn dazu, mich in sein Haus, das ganz in der Nähe meiner Schule lag, gegen einen Pensionspreis, den er festlegen würde, aufzunehmen. Ich gebrauchte dabei den Vorwand, dass mir bei meinem Gelehrtenberuf die Sorge für mein leibliches Wohl hinderlich sei und mich auch zu teuer zu stehen komme. Fulbert liebte das Geld; dazu kam, dass er darauf bedacht war, seiner Nichte dabei zu helfen, in ihrem Streben nach Gelehrsamkeit möglichst große Fortschritte zu machen. Indem ich seinen beiden Leidenschaften schmeichelte, erhielt ich ohne Mühe seine Zustimmung und erreichte das, was ich wollte.
Der Kanoniker war hingerissen von der Vorstellung, den berühmten Lehrer als Pensionsgast aufzunehmen, begeistert von dem Gedanken, dass seine Nichte dessen Unterricht würde genießen können. Er schlug Abaelard vor, was dieser kaum zu hoffen gewagt hätte:
Er überließ mir Heloïsa ganz und gar zur Erziehung und bat mich obendrein dringend, ich möchte doch ja alle freie Zeit, ob am Tag oder bei der Nacht, auf ihren Unterricht verwenden. Ja, wenn sie sich träge und unaufmerksam zeige, solle ich mich nicht scheuen, sie zu züchtigen.
Peter Abaelard ließ sich in dem seinem Lehrstuhl unmittelbar benachbarten Haus nieder und begann in den folgenden Wochen und Monaten sein heimliches Liebesverhältnis zu Heloïsa. Seine Liebe wurde von dem jungen Mädchen heftig erwidert; der Unterricht wurde mehr zum Vorwand für das gegenseitige Verlangen. Dies währte jedoch nicht lange - die Affäre sprach sich herum. Schließlich entdeckte auch Fulbert selbst die verbotene Beziehung. Abaelard schrieb darüber:
Ach, wie zerriss diese Entdeckung dem Oheim das Herz!
Der Kanoniker quittierte mit Kummer und Wut, dass seine Hoffnungen und sein Vertrauen auf solche Weise betrogen waren. Was nun folgte, kann man sich ohne allzu große Mühe vorstellen. Zunächst wurde Abaelard aus dem Haus Fulberts verwiesen. Durch die Trennung wurde ihm vielleicht erstmalig ein Gefühl bewusst, dessen er sich zuvor nicht hatte sicher sein können, und das ihn nun überstieg: Als Zyniker und Genießer war er in die Wohnung Fulberts eingekehrt, als verwirrter Liebender verließ er sie.  Ohne Zweifel suchte sich Abaelard ein Logis, das nicht weit vom "Tatort" entfernt lag. Von dort beabsichtigte er - beider Sehnen nachgebend -, sein heimliches Liebesverhältnis fortzusetzen, im übrigen aber auch seinen Unterricht. Wenn Heloïsa wie Abaelard auch den Zorn Fulberts fürchten und seine strenge Aufsicht überlisten mussten, so taten sie sich wohl keinen Zwang gegenüber Dritten, Schülern oder Freunden an:
Der Gedanke an den erlittenen Schaden machte uns dem Skandal gegenüber unempfindlich.
Da jeder von nun an ganz laut sagte, was man vorher leise über sie geraunt hatte, fühlten sich beide von jedweder Schande befreit. Doch dann spürte Heloïsa plötzlich, dass sie schwanger war. Dies änderte die Situation gründlich. Um sie vor der Rache Fulberts zu schützen, brachte Abaelard  sie heimlich zu seiner Familie in die Bretagne, wo sie später ihren gemeinsamen Sohn Astralabius gebar.

Fulbert sann auf Rache. Als er feststellte, dass Heloïsa weg war, geriet er außer sich:

Er wurde wie verrückt; nur wer es selbst mit ansah, konnte sich eine Vorstellung machen von der Heftigkeit seines Schmerzes und davon, wie sehr ihn die Niedergeschlagenheit überfiel.
Abaelard musste schließlich um sein Leben bangen. Tatsächlich bewies Fulbert in Folge, dass er zu allem fähig war. Erst nach der Geburt von Astralabius - also sicher um die fünf oder sechs Monate nach der Flucht Heloïsas - entschied sich Abaelard endlich dazu, den Kanoniker aufzusuchen, ihn um Verzeihung zu bitten und ihm eine Wiedergutmachung vorzuschlagen. Überraschenderweise kamen die beiden Männer zu einer Übereinkunft:
Um ihn noch besser zu besänftigen, bot ich ihm eine Genugtuung an, die alles übertraf, was er hatte erhoffen können: ich schlug ihm vor, jene, die ich verführt hatte, unter der einzigen Bedingung zu ehelichen, dass die Heirat geheim gehalten würde, damit sie meinem Ruf nicht schade.
Die Vernunft hatte für den Augenblick das letzte Wort gehabt. Aus heutiger Sicht war das Verhalten Abaelards ziemlich egoistisch, entsprach aber auch dem Wunsch Heloïsas, die eine reguläre Ehe aus Rücksicht auf Abaelard abgelehnt hatte. Fulbert seinerseits stimmte wohl erst dann zu, als er eine gehörige Zahlung mit Abaelard als Ersatz der Morgengabe ausgemacht hatte.

Nach der Entbindung begaben sich Heloïsa und Abaelard erneut nach Paris. Ihr Sohn blieb in den Händen der Schwester Abaelards, die das Kind weiter aufzog. Wenn sie die Hochzeit geheim halten wollten, kam es in der Tat nicht in Frage, das Kind bei sich zu behalten. Die Trauung wurde heimlich vollzogen - vermutlich in der Eigenkirche Stephans von Garlande, der Kanzler des Königs und Archidiakon des Domes in Personalunion war. Es ist anzunehmen, dass die heimliche Trauung in der an der Unfriedung des Cloître liegenden Kirche Saint-Aignan vollzogen wurde. Kurz nach der Eheschließung fingen Fulbert und seine Freunde an, die Neuigkeit der Eheschließung so laut wie möglich hinauszuposaunen. Vermutlich hatte Abaelard sein Wort nicht gehalten und aus Geldnot die versprochene Reparationszahlung verweigert. Die Schmach war öffentlich gewesen; öffentlich sollte nun auch die Wiedergutmachung für Fulbert sein. Da griff Abaelard zu einer Maßnahme, zu der er als Ehemann zwar formell berechtigt war,  bei der man aber kaum umhin kommt, sie moralisch zu verurteilen. Sicher wollte er Heloïsa vor den Misshandlungen ihres Onkels schützen, aber die Entscheidung, die er nun traf, schien wohl vor allem von der Sorge um seinen eigenen Ruhm bestimmt gewesen zu sein, von dem Wunsch, dem Klatsch ein Ende zu bereiten:

Als ich davon hörte, brachte ich Heloïsa in das Nonnenkloster Argenteuil bei Paris, wo sie in ihrer frühen Jugend aufgezogen und unterwiesen worden war, und ich veranlasste sie dazu, die Gewandung anzulegen, die das Klosterleben erfordert - mit Ausnahme des Schleiers.
Fulbert weist Heloïsa zurecht.An diesem Punkt des Berichtes angelangt, fällt es dem Leser der Historia Calamitatum schwer, nicht die Empörung Fulberts und seiner Freunde zu teilen. Wenn Abaelard Heloïsa dazu brachte, ins Kloster zu gehen, so nur deshalb, um ihre Eheschließung zu vertuschen. Heloïsa fungierte in Argenteuil nun nicht mehr als interne Schülerin, wie einst in ihrer frühen Kindheit, sondern als Novizin: Schon trug sie das Ordensgewand, und es fehlte nur noch der Schleier, den sie nehmen würde, wenn sie die ewigen Gelübde ablegte. Die Opferbereitschaft ihrerseits war überragend; der einzige, dem ihr Opfer nützte, war Abaelard.
Nun aber glaubten Fulbert und seine Verwandten, ich hätte sie jetzt erst recht hintergangen und Heloïsa zur Nonne gemacht, um sie los zu werden.
Wie Abaelard selbst es ausdrückte, war der Fulbert'sche Clan - seine aus der Ferne herbeigeholten leiblichen und angeheirateten Verwandten - auf das Höchste entrüstet:
Sie einigten sich untereinander, und eines Nachts, während ich bei mir zu Hause in einem abgelegenen Schlafzimmer meines Gasthauses ruhte, führte sie einer meiner um teures Geld bestochenen Diener herein, und sie unterwarfen mich der grausamsten und schmachvollsten aller Rachen - einer Rache, die die ganze Welt mit Sprachlosigkeit erfuhr: Sie schnitten mir die Teile des Körpers ab, mit denen ich das begangen hatte, worüber sie sich beklagten; dann ergriffen sie die Flucht.
Das Kastrationsdrama spielte sich vermutlich an einem Tag des Jahres 1117, zur Zeit der Morgendämmerung, ab und sprach sich schnell herum; schon am Vormittag drängten sich all die Kleriker von Paris, alle Schüler und Studenten, all jene, die vom Philosophen hatten reden hören, vor Abaelards Unterkunft. In Paris war nur noch die Rede von der Verstümmelung, die der Meister erlitten hatte:
Die Menge der Kanoniker, der vornehmen Kleriker, sie weint; Deine Mitbürger, sie weinen; es ist eine Schande für ihre Stadt; sie grämen sich, ihre Stadt durch das Vergießen Deines Blutes entheiligt zu sehen. Was soll ich über die Klagen aller Frauen sagen, die - dies ist die den Frauen eigene Art - so viele Tränen darüber vergossen haben, Dich, ihren Ritter, verloren zu haben, so viele Tränen, wie wenn jede von ihnen ihren Gatten oder ihren Liebsten im Krieg hätte umkommen sehen!
So schrieb später Heloïsa. Abaelard selbst überstand die Verstümmelung erstaunlich gut. Bald heilten die Wunden. Seelisch bewältigte er die Gewalttat allerdings erst nach Jahrzehnten, indem er sie als eine gerechte Strafe Gottes empfand:
Ich weiß, als Rache für meine Tat wird es mir gegeben. Es ist richtig für mein schändliches Betragen, dass ich solch großen Schaden erleide. Wegen meines Fehltritts habe ich es verdient, mit diesem Schwert verwüstet zu werden... Abaelard - Planctus Jakob super filios suos
Abaelard wurde für den Rest seines Lebens in diesem Gefühl nicht mehr wankend. Viel später, als er zu Heloïsa, also zu dem Menschen sprach, den er als Allerletzten belogen haben würde, wiederholte er mit Nachdruck:
Im Einklang mit der Gerechtigkeit ist das Organ, das gesündigt hat, auch das gewesen, welches getroffen wurde und mit Schmerz für seine schandhaften Freuden büßen musste.
Der Brief, den der Prior von Deuil, Fulko, eine Bekannter aus der Heimat Abaelards, an diesen schrieb - ein Brief, den er höchstens einige Monate nach dem Ereignis verfasst hatte -, verrät, dass die Attentäter die Flucht ergriffen hatten, und dass mindestens zwei von ihnen ergriffen und bestraft worden waren:
Zwei von denen, die Dich angegriffen haben, hat man die Augen ausgestochen und die Geschlechtsteile abgeschnitten. Derjenige, der abstreitet, dass die Missetat sein Werk gewesen sei, ist jetzt dadurch bestraft worden, dass man ihn seines gesamten Hab und Guts beraubt hat. Sag nicht, dass die Kanoniker und der Bischof, die, so sehr sie es vermochten, danach getrachtet haben, in Deinem und ihrem eigenen Interesse der Gerechtigkeit Genüge zu tun, für Deinen Verlust und das Vergießen Deines Blutes verantwortlich sind. Sondern höre auf den guten Rat und den Trost eines wahrhaften Freundes...
Dies lässt wohl durchblicken, dass Abaelard das Urteil nicht für ausreichend hielt. Einer der beiden Verbrecher, die die schreckliche Strafe erlitten hatten, war jener Diener Abaelards, der sein Vertrauen missbraucht und das Attentat ermöglicht hatte.

Nach Ausheilung seiner Wunde wechselte Abaelard schließlich als Mönch nach Saint-Denis und empfing dort die Priesterweihe. Heloïsa nahm zuvor auf sein Geheiß hin den Schleier in Argenteuil. Die Verbindung zu Fulbert brach wohl über lange Jahre ab.

Nach einer Analyse der Urkunden von Notre-Dame verlor jedoch Onkel Fulbert nicht - wie vielfach behauptet - seine Würde als Subdiakon. Er kam mit der relativ geringen Strafe einer Bußzahlung davon. Mindestens bis 1124 ist er als Mitglied des Domkapitels von Paris nachweisbar. Vermutlich trat er danach aus Altersgründen ins Stift Saint-Victor am linken Seine-Ufer ein und wurde sehr alt.

Durch einen Bericht des normannischen Geschichtsschreibers Ordericus Vitalis vefügen wir über den authentischen Beweis, dass Fulbert während seines Kanonats in Paris auch eine Jugendsünde - nämlich Reliquienhehlerei - hatte wieder gut machen wollen. Vermutlich war er als Kind Chorknabe am Dom von Orléans gewesen und hatte von einem ehemaligen Kaplan König Heinrichs I. namens Guescelin einen Knochen des Heiligen Ebrulf geschenkt bekommen. Eventuell hatte dieser Kaplan päderastische Neigungen gehabt. Da die Reliquien des Heiligen im betreffenden Zeitabschnitt - weit vor 1100 - zwischen Orléans und Angers wechselten, ist Fulberts frühe Anwesenheit in die Loire-Region weitgehend belegt. Darauf deuten auch spätere Kontakte zum mächtigen Abt des Klosters Marmoutiers hin, der den Namen Odo trug. Fulbert verhandelte mit ihn über die Kirche Notre-Dame-de-Champs auf dem Montagne Sainte-Geneviève, im Auftrag seines Domkapitels.

Offensichtlich wollte Fulbert zu der Zeit, als er in Sachen Kastration Abaelards in Paris angeklagt wurde, die belastende Ebrulf-Reliquie wieder los werden. Er übergab sie dem nächst gelegenen Priorat von Saint-Evroult in Maule. Als der dortige Prior die Reliquie in sein Mutterkloster zurückbringen wollte, starb er beinahe an einer Vergiftung. Es ist nicht ganz auszuschließen, dass Fulbert durch einen entsprechenden Anschlag heimlich die Reliquie zurück erhalten wollte. Zumindest sind derartige Giftanschläge in der Krondomäne damals nicht selten gewesen und auch an anderen Beispielen festzumachen. Wie die Sache ausging, ist nicht bekannt. Jedenfalls zeigt Anekdote des Ordericus Vitalis, dass Fulbert nicht nur beim Attentat auf Abaelard eine gewisse kriminelle Energie an den Tag gelegt hatte.

Heloïsa ließ sich in den späten Jahren Fulberts nicht davon abhalten, nochmals den Kontakt zu ihm zu suchen. Sie reiste nach Paris und besuchte Saint-Victor. Es ist nicht sicher, ob sie dabei ihren Onkel noch lebend antraf. Aber nach seinem Tode vereinbarte sie im Stift Saint-Victor, in dem er Onkel wahrscheinlich verschieden war, Kommemorations-Termine für Abaelard und die Nonnen des Paraklet und vermerkte das Ableben ihres Onkels, das ansonsten auch in den Obituarien von Notre-Dame und Saint-Victor festgehalten wurde, im Totenbuch des Paraklet. So kennen zwar nicht sein genaues Todesjahr - es dürfte 1142 gewesen sein -, wohl aber seinen Todestag: Es war es der 23. Dezember.


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